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Am Grund des Sees

Titel: Am Grund des Sees Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Fazioli
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Anwalt!«
    Aber Tommi beachtete ihn nicht. Wie vom Donner gerührt stand er da und starrte Contini an.
    »Elia …«, murmelte er.
    »Ihr kennt euch?«, fragte Chico.
    Contini versuchte hinter den auf die Wangen gemalten Blümchen, den in die Stirn fallenden Grasbüscheln, die Gesichtszüge seines Gegenübers zu identifizieren.
    »Das ist ein Mandant von mir«, erklärte Chico unterdessen. »Ein Gutes hat mein Beruf ja: Man lernt wirklich einen Haufen Leute kennen!«
    »Tommi!«, rief Contini schließlich aus. »Du bist Tommi Porta!«
    Ein Lichtstrahl durchschnitt die Wassermasse, die Contini von seiner Kindheit trennte. Das tote Dorf auf dem Grund des Sees schien für einen Moment wieder zum Leben erwacht, und Contini erinnerte sich an den jungen Tommaso.
    »Endlich treffen wir uns!«, sagte Tommi.
    »Also weißt du«, sagte Contini, »ich hätt dich jetzt fast nicht erkannt.«
    »Euch beide muss man nicht mehr vorstellen, wie ich sehe«, warf Chico dazwischen. »Aber mir wird’s allmählich ein bisschen kalt, was hieltet ihr davon, wenn …«
    »Wie kommst du zu Malfanti?«, fragte Tommi.
    »Das ist dein Anwalt?«, fragte Contini zurück.
    »Das weißt du doch, oder?« Tommi lächelte. »Manchmal glaub ich, unser altes Dorf bedeutet dir gar nichts mehr …«
    Contini erinnerte sich, wie sie miteinander durch die Gegend gestreift waren. Wie sie gelacht hatten! Wie sie im größten Regen unter einem zeltartigen Umhang Rad gefahren waren, wie sie so getan hatten, als wären sie außerhalb der Welt. Wie sie, nachdem sie in der Sonne herumgerannt waren und vor Durst umkamen, einen Kasten Sprudel aus dem Keller geholt hatten...
    »Weißt du, in letzter Zeit interessiere ich mich für den Staudamm«, sagte Contini. »Und ich hatte vor, mit den Leuten zu reden, die sich vor Gericht beschweren wollen.«
    »Keiner will die Erweiterung! Auch nicht die von der Band - dabei ist Vassalli, der Ingenieur, einer von uns, schau, dort drüben ist er!« Tommi deutete auf ein Grüppchen von Musikern und zwinkerte Contini zu. »Aber sich beschweren reicht eben nicht, wie du selber sagst.«
    »Ich sag das?«
    »Weißt du, Elia, ich hab nie verstanden, wieso du wegwolltest.«
    Chico verfolgte diesen Dialog mit Interesse; obwohl er, typisch Contini, nach Abenteuer und Absurdität klang, schien er ihm alles in allem doch recht mysteriös. Aber es hatte wirklich eine Hundekälte - viel zu eisig, um sich hier die Beine in den Bauch zu stehen.
    »He, Leute«, schlug er vor, »wieso gehen wir nicht wohin, wo es wärmer ist?«
    »Weggegangen bin ich, das ist wahr«, sagte Contini. »Das Haus gibt es ja nicht mehr. Bist du denn im Dorf geblieben?«
    »Klar, ich wohne direkt unter dem Staudamm.«
    Chico fing an sich zu ärgern: Was soll das für eine Fasnacht sein, hier in der Kälte zu stehen und das Publikum für zwei Typen zu spielen, die von der guten alten Zeit reden!
    »Tschuldigung, wenn ich in die schönen Erinnerungen hineinplatze«, sagte er, »aber es ist drei Uhr morgens und nicht direkt warm.«
    »Es ist fast schon nicht mehr heute«, sagte Tommi lächelnd.
    »Wie bitte?« Chico starrte ihn an.
    »In ein paar Stunden wird es hell«, sagte Tommi. »Deswegen ist es kalt.«
    »Na und?«, sagte Chico. »Die Nacht ist noch lang!«
    Er sah Francesca zurückkommen und winkte ihr.
    »He, hier sind wir!«
    »Ich muss wieder«, sagte Tommi.
    »Na gut.« Contini reichte ihm die Hand. »Freut mich, dass wir uns nach so vielen Jahren wiedergesehen haben.«
    Tommi entfernte sich eilig. Gleich darauf war Francesca bei ihnen und sagte zu Contini: »Sara und die anderen gehen zur Piazza Governo. Gehen wir mit?«
    Contini nickte. »Wie du willst.«
    »Also los!«, rief Chico. »Schließlich ist doch Fasnacht, oder?«
     
    Tommi zitterte. Kalt war ihm nicht - aber es ist eben nicht einfach, Saxophon zu spielen, wenn man den Tod im Herzen hat, der hinauswill. Elia zu treffen und so zu tun, als wäre nichts. Und sich vor Francesca verstecken zu müssen, um sich nicht an diese Nacht zu erinnern … ach, diese Nacht mit Francesca …
    »He, Tommi, du bist aus dem Takt!«
    »Ja, Scheiße, entschuldige …«
    Es war nicht die richtige Zeit, nicht die richtige Art. Mitten in der Fasnacht! Und als Wiese verkleidet, zu allem Überfluss. Aber da war das Gelübde. Und da war der Tod, der klopfte und klopfte und hinauswollte, und wie kann man denn mit dem Tod diskutieren?
     
    Contini ließ Francesca und Sara im Zelt auf der Piazza Governo zurück, um sich

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