Am Haken - Ein maximalistischer Roman ueber das Leben die Liebe und den grossen Hecht
vielleicht tatsächlich mein Mäuseleben loswerden könnte. Ich könnte versuchen, jemand anderes zu sein. Zum Beispiel morgen. Ich kann von Jerry lernen. Wie er zwischenStimmungen und Persönlichkeiten hin und her springt – und das mehrere Male am Tag.
Morgen werde ich … wer werde ich sein … das Einzige, was mir einfällt, ist »der Dämon aus der Hölle«. Eine zweifelhafte Rolle. Aber vielleicht kann ich ja ein Minidämon sein?
Vielleicht nur ein Mäusedämon?
Ein Mikrodämon … hähä …
»Wahnsinn«, flüstere ich noch ein letztes Mal und schlafe im Gras ein, eingelullt von den Geräuschen der Holztransporter, die Tag und Nacht von hier zu anderen, geheimnisvolleren Orten fahren.
ZITAT AUS: »Henry Walden. Der Fisch meines Lebens. Die Jagd auf den Riesenhecht.«
»Ich bin altmodisch. Das gebe ich gern zu. Deshalb benutze ich eine Bambusstange, die ich vor vielen Jahren für ein Vermögen gekauft habe – eine ›Paradise de Luxe‹. Sie ist handgemacht und besteht aus sechs kleineren Bambusrohren, die in dreieckige Späne zerschnitten und zusammengeleimt wurden. Aus dem besten Cassadybambus aus Südchina.
Nachdem das Material lange getrocknet wurde, wird die Stange zugespitzt und geputzt. Anschließend werden nur die allerbesten Ruten – ungefähr 25 % – ausgesucht und kommen in die ›de-Luxe-Klasse‹. Sie können ein ganzes Leben lang halten.
Die meisten Sportangler begehen den Fehler, dass sie ihre Angelrute auf den Dachboden werfen und sie erst wieder herunterholen, wenn sie das nächste Mal angeln gehen wollen.
Doch so fängst du keinen Fisch wie den Riesenhecht. Nun ja, jeder kann mal Glück haben. Aber jetzt rede ich davon, wie man ganz gezielt seine Chancen verbessern kann, diesen legendären Fisch zu fangen.
Würdest du ein teures Gewehr einfach Wind und Wetter aussetzen und die Patronen unachtsam auf die Erde fallen lassen? Würdest du deinen Rolls-Royce draußen im Schneetreiben parken?
Na also!
Deshalb nehme ich die Angelrute aus ihrem Futteral, sobald ich nach Hause komme. Ich trockne sie nach jedem Angelgang gut ab und hänge sie vorsichtigim Haus drinnen auf – gern im Wohnzimmer –, damit sie in Ruhe durchtrocknen kann.
Wenn die Fischsaison vorbei ist, zerlege ich die Rute in all ihre Einzelteile. Dann hänge ich sie an einem Ort im Haus auf, wo es weder zu trocken noch zu nass ist. Ein feuchter Keller ist der Tod! Jedes Teil wird für sich aufgehängt, mit einem Gewicht, das es nach unten zieht. So wird die Stange den Winter über gerade gezogen.
Eine Angelrute, die feucht oder krumm steht, geht kaputt. Außerdem zeigt sie, dass ihr Besitzer keine Ahnung von der Ernsthaftigkeit des Hechtfangs hat.
Ich beginne diese Jagd, indem ich voller Ehrfurcht meine ›Paradise de Luxe‹ in die Hand nehme und hoch und heilig schwöre, dass ich mit ihr den größten Fisch in Tipling fangen werde. Das ist mein Ausgangspunkt.«
2. PLATTE FORELLE = DIENSTAG
1. ERÖFFNUNG MIT SONNE
Der Dämon aus der Hölle träumt davon, zu einer schönen Morgenstunde aufzuwachen – so gegen halb zehn oder zehn. Ein sanftes Erwachen. Stattdessen wird hart an seiner Schulter gezogen und gezerrt – was ihm im Traum wie der Angriff eines verrückten Hundes vorkommt.
Ich drehe mich um und schlage nach dem Köter.
Ich treffe etwas Weiches und dieses »Etwas« stöhnt. »Auuh!«, sagt es. »Bist du total verrückt geworden?«
Ich rolle herum, um diesem »Etwas« zu entkommen, bekomme aber zu viel Fahrt. Ich habe mich zum Schlafen auf einen Abhang gelegt und rolle direkt in Vaters Johannisbeerbüsche.
Der Dämon landet mit einem kräftigen Rums in den Büschen. Und nicht genug damit, dass mir die Johannisbeeren um die Ohren fliegen. Das Schlimmste ist, dass hier jede Menge Brennnesseln wachsen. So muss es sich anfühlen, wenn man in einem Ameisenhaufen landet! Die ersten Sekunden lang juckt es, als würden Tausende winziger Tierchen langsam über mich hinweglaufen. Doch dann fängt es an, in den Beinen zu brennen und zu stechen. Ich springe schnellerin die Höhe, als du sagen kannst: »Neuer Rekord in der Anzahl von Brennnesselblasen!«
Ich sehe, wie Jerry sich krümmt. Er reibt schmerzverzerrt an einer Stelle am Schenkel, die langsam, aber sicher dunkelblau wird. Die Sonne ist noch hinterm Horizont und hat sich noch nicht entschieden, von welcher Zeit wir eigentlich sprechen.
Ich schaue auf die Uhr. Es ist fünf Uhr morgens. Jetzt verstehe ich,
Weitere Kostenlose Bücher