Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
Hühnertod, Kletten und Mutterkraut. Ihr fiel es jetzt leichter, am Boden zu arbeiten und das Steigen und Fallen der Wellen unter sich zu spüren. Sie traute den Möbeln nicht. Schon zu oft hatte es sie von ihrer Bank im Schiffsbauch geworfen. Das war allen passiert. Am Ende eines jeden Nachmittags mit Mr Reeve krampften ihre Knie, und ihr Rücken schmerzte.
Nach einer Stunde oder so richtete sie sich auf und streckte sich. Sie ertappte ihn wieder dabei, wie er sie beobachtete. Vermutlich machte er sich Gedanken über ihr Verbrechen und ihr bisheriges Leben, doch sie bezweifelte, dass er den Mut aufbringen würde, sie direkt danach zu fragen.
»Sie scheinen eine Menge über Botanik zu wissen, Mahoney.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Ich suche gerne nach Mustern in der Natur, und ich schätze es, die Namen der Dinge zu kennen, die ich vor mir sehe.«
»Aber wozu? Von welchem Nutzen kann ein solches Wissen für …«
»Für eine Frau sein?«
»Nun ja. Genau!«
»Ich möchte Sie ja nicht schockieren, Mr Reeve, aber das weibliche Gehirn ist zu mehr in der Lage als zum Zählen von Stichen und zum Kindergroßziehen.«
»Ich schätze, Sie sind keine … gewöhnliche Frau, Mahoney.«
»Gott sei Dank!« Im Grunde hatte sie Mamo dafür zu danken. Mr Reeve schien entsetzt, was irgendwie befriedigend war. Es ließ ihn für den Rest des Nachmittags verstummen.
Normalerweise hatte sie ein paar Minuten übrig, ehe sie sich in der Messe zum Abendessen einfinden musste. Es gab eine abgelegene Ecke zwischen zwei Decks, wo sie durch ein Lüftungsgitter einen Teil des Hauptdecks und einen schmalen Streifen Ozean überblicken konnte. So viel Meer war gerade noch erträglich. Da ihr Kurs gen Süden ging, gab es nun mehr Stunden Tageslicht, und sie bekam nach und nach einen Blick dafür, wie sich die scheinbare Monotonie des Meeres eigentlich ständig veränderte. Manchmal wirkte es so dreckig und leblos wie die Liffey an einem Wintertag, dann wieder wie ein riesiger Spiegel, der Himmel und Wolken reflektierte. An manchen Tagen waren seine Kurven und Rüschen verlockend, an anderen sahen die Wellen gezackt und bedrohlich aus. Heute hatte die See ein gemeines Blitzen, deshalb schaute Rhia nicht wieder hin. In Geschichten von Manannan trieben die Schiffe, die in Stürmen verschwanden, zu den verwunschenen Inseln oder den Geisterinseln der Anderswelt.
Rhia kehrte Manannan den Rücken zu und sah Alberts ausgefranste Hosen durch eine Luke im Oberdeck aufsteigen. Sie rief ihm so laut zu, wie sie sich traute. Er sprang leichtfüßig von den Treppen auf Deck und stand kurz darauf strahlend vor ihr.
»Wie ich sehe, haben Sie mein Versteck gefunden, Mahoney.«
»Deins! Ich dachte, es sei mein Versteck.«
»Aber meine Tabakdose is hier.« Albert steckte die Hand in ein dunkles Loch zwischen den Balken und zog sie heraus. »Möchten Sie?«
»Ein andermal. Ich komme zu spät.« Sie zögerte, obwohl sie ihre Entscheidung bereits gefällt hatte. »Albert … ich würde dich gerne um einen Gefallen bitten.«
Er zuckte mit den Schultern. »Na, dann mal raus damit?«
»Kennst du einen Passagier namens Laurence Blake?«
»Der mit dem Heuhaufen?« Er zeigte auf seine Haare. »Der, der immer sein Pergament in die Sonne auf Deck ausbreitet?«
»Genau der. Würdest du ihm eine Nachricht von mir überbringen?«
Albert grinste breit. Sie wusste, was er dachte.
»Würdest du Mr Blake verraten, wo meine Kammer ist?« Sie sah den Schalk in seinen Augen blitzen. »Du brauchst nicht zu denken, dass da etwas … da ist nichts … Mr Blake ist ein Freund. Zufällig kannte ich ihn schon, bevor ich … ich kenne ihn aus London. Ich muss mit ihm sprechen – es ist wichtig.«
»Na klar isses das.« Alberts Grinsen wurde breiter. Rhia war jedoch egal, was er dachte. Er verbeugte sich theatralisch und stolzierte pfeifend davon.
38
V ALETINE- S EIDE
Jane und Georgina deckten schmollend den Tisch, wobei das Geklapper der Zinnschüsseln verriet, dass es zwischen ihnen nicht zum Besten stand. Georgina machte ein finsteres Gesicht und kratzte sich immer wieder unter ihrer Kappe. Die beiden waren zuvor auf dem Achterdeck wegen Kopfläusen aneinandergeraten. Tierchen, die in den warmen Breiten besonders gut gediehen.
»Da braucht es bloß einen einzigen juckenden Kopf, und schon marschieren die kleinen Biester über jede Kopfhaut«, erklärte Jane. »Wenn du sie also nicht in Essig ertränkst, kipp ich dir mit Freude ’ne ganze Flasche über den
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