Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
zu Laurence. Er brachte sie zum Lachen, und sie fühlte sich bei ihm sicher. Vielleicht reichte das ja?
39
B ALZARINE
Antonia blickte in die dunkle Nische, wo eine Reihe schlichter grauer und brauner Leinengewänder hing. So schlapp wie ihre eigene Demut, dachte sie. Einst hatten Stangen voll Taft und Seidenorganza ihr zugeflüstert, Stoffe mit eigenen Namen: Andalusian und Ariel. Einst waren ihre Schals aus hauchdünner Wolle gewesen, so fein wie Spinnweben, und nicht aus einfarbigem, derbem Tuch. Sie wählte ihr neuestes graues Leinenkleid. Dabei fiel ihr der Name wieder ein, den der Schneider der Farbe gegeben hatte: Londoner Rauch. Passend.
Beim Ankleiden zwang sie sich dazu, über den Sinn von Schlichtheit zu reflektieren. Eine ungeschmückte Kleidung verweigerte sich den Launen der Mode ebenso sehr wie dem Klassendenken. Ohne prächtige Gewänder war eine Frau einer anderen ebenbürtig, egal, wie schwer ihre Geldbörse sein mochte. Josiah hatte sogar bestimmte Worte der Anrede nicht benutzt, weil er überzeugt davon war, dass allein schon damit ein Titel oder eine Hierarchie ausgedrückt wurde. Antonia konnte sich jedoch nicht überwinden, auch noch ihre Sprache anzupassen. Sie war schon angepasst genug.
Sie strich sich das Haar mit einem Holzkamm glatt und drehte es im Nacken zu einem Knoten, ehe sie langsam und bedächtig die Treppe hinunterschritt, wobei ihre Hand über das polierte Geländer strich. Wie konnte sich ihre Vorfreude auf den Besuch von Mr Montgomery so leicht mit den Erinnerungen an Josiah vermischen? Was, wenn ihre Ideologie nicht stärker war als ihre weiblichen Impulse? Josiah war es gewesen, der sie nach innen gelenkt hatte. Ohne ihn wurde ihr Mut jeden Tag auf die Probe gestellt, ohne ihn gab es keine sanften Worte der Lenkung, keine Augen voller Güte, keine liebende Umarmung.
Die Küche war tröstlich warm. Beth entzündete bei Tagesanbruch stets das Feuer im Herd. Der Haferbrei war bereits gekocht und stand dampfend in seinem gusseisernen Topf auf dem Tisch. Es war der beste Haferbrei, den Antonia je gekostet hatte. Sie hatte Beth einmal bei der Zubereitung zugesehen: ein Stückchen Butter, eine Prise Salz und ein Schuss Sahne machten den Unterschied. Josiah hatte immer betont, dass er einfaches Essen bevorzugte, und als er Beth für ihren Haferbrei gelobt hatte, musste Antonia lächeln.
Das Haus war zu still ohne Laurence und Rhia. Antonia nahm die erste Mahlzeit des Tages nun zusammen mit Beth und Juliette ein. Sie redete sich ein, dass sie sich auf einer Ebene mit ihnen fühlen wollte, aber im Grunde war sie lediglich einsam. Sie wusste einfach nicht, wie sie das Konzept der Gleichheit mit der Tatsache vereinbaren sollte, dass sie eine Herrin mit Hausangestellten war. Natürlich bot sie Arbeit an, und außerdem war der Haushalt hier noch am ehesten eine Familie für Juliette. Ihre verworrenen Beschützerinstinkte und der Ärger waren zweifellos mütterlicher Natur. Antonia hatte bisher noch nie auf jemanden aufpassen müssen.
Heute Morgen besprachen sie wie immer die Aufgaben im Haushalt, die besonderer Aufmerksamkeit bedurften, angefangen beim Mobiliar. Der Esstisch und die Stühle mit den geschwungenen Lehnen wirkten brüchig und benötigten dringend etwas Möbelpolitur. Beth wirkte verdutzt.
»Meinen Sie Leinöl und Essig, Mrs Blake?«
»Nein. Meine Mutter hatte ein Rezept für die Pflege von englischem Walnussholz: Bienenwachs und weißes Wachs, Kernseife und Terpentin. Das macht das Holz weich und schützt es.«
Beth seufzte und schöpfte sich eine weitere große Portion Haferbrei in ihre Schüssel. »Na schön.«
Antonia lächelte. Beth hatte gern etwas, worüber sie seufzen konnte. »Der Salon muss abgestaubt werden, bevor unser Gast erscheint, Juliette«, fuhr sie fort. »Mit einem Gänseflügel solltest du in die entlegenen Ecken kommen. Und der Samt muss mit einer harten Bürste bearbeitet werden.« Juliette nickte, blieb aber stumm und gebeugt sitzen. Wenigstens schien sie weniger melancholisch zu sein, jetzt wo statt des Nieselregens die Frühjahrssonne auf die Fensterscheiben traf. Die Anstrengung würde ihr guttun. Antonia vermutete, dass ihr ständiges Kränkeln eigentlich nur Schwermut war. Der Arzt hatte es auf dieselbe Weise beschrieben, wie die meisten Mediziner den Großteil weiblicher Beschwerden beschrieben: »Eine Störung des Nervensystems, Mrs Blake. Geben Sie ihr Laudanum und halten Sie die Vorhänge geschlossen, um übermäßige Stimulation zu
Weitere Kostenlose Bücher