Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Titel: Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kylie Fitzpatrick
Vom Netzwerk:
Schädel. Oder ich sag der Oberin, dass sie dir den Schädel scheren soll.« Georgina brach in Tränen aus und warf sich in ihre Hängematte.
    Das Abendessen bestand aus trockenen Keksen, Erbsensuppe und Nierenfettkuchen. Frische Nahrung gab es nur noch selten, und bis Rio waren es immer noch zehn Tage. Albert sagte, dort würden sie frisches Wasser, Obst und Fleisch, Rum, Tabak und portugiesischen Wein laden – die wesentlichen Vorräte eben.
    Das Beste am Abendessen war nicht der körnige Nierenfettpudding mit ein wenig Sirup darin, sondern die Ration Wein. Es war der billigste Fusel, den man sich nur denken konnte, und wurde in einem verbeulten Zinnkrug serviert, aber er schmeckte so gut wie der beste Bordeaux. Er verkürzte die Schatten und besänftigte die Gemüter.
    Nach dem Abendessen wurden zwei Laternen angezündet und auf den Tisch gestellt, um in der Bibel zu lesen. Es war niemandem erlaubt, allein eine Laterne anzuzünden, ohne dass eine Aufseherin dabei war. Bisher gab es noch keine Anhaltspunkte, was man bei Regelbruch zu erwarten hatte, aber alle wussten, dass Agnes nur eine Haaresbreite von einer Tracht Prügel entfernt war. In einer dunklen Ecke, wo das Bilgewasser in eine schrankähnliche Zelle schwappte, gerade groß genug für eine kauernde Person, waren Eisenhaken in die Holzbalken eingelassen. Die Liste des Schiffsarztes war die Lieblingsdrohung der Aufseherinnen, aber niemand hatte eine Ahnung, wer auf der Liste stand oder welche Vergehen als entsprechend schwerwiegend betrachtet wurden. Wie würde der Diebstahl von zwei Wachskerzen, einem Flint und ein paar Zündhölzern bewertet werden? Rhia hatte die Gegenstände in ihre Schürzentasche gleiten lassen, als der Streit in vollem Gange war. Sie wurde ohnehin für eine Diebin gehalten, welchen Unterschied machte es also?
    Margaret winkte Rhia von ihrer Hängematte aus zu sich heran, während die anderen Stopfarbeiten erledigten, am Tisch in ihren Bibeln lasen oder sich gegenseitig lausten. Sie reichte Rhia eine flache Hülle aus fester Seide, die Rhia in ihre Schürzentasche schob. Als dies erledigt war, machte Margaret viel Aufhebens um ein Stück blauer gemusterter Valetine-Seide, die sie in ihrem Sack entdeckt hatte. Das Stück war nicht groß, vielleicht ein halber Meter im Quadrat, doch es war ein hübscher Fund, und sie waren sich einig, dass der Stoff zu schön für einen Quilt war und deshalb für »später« aufgehoben werden sollte, um eine Tasche oder einen Beutel daraus zu machen.
    Als es an der Zeit war, in ihre Kammer zurückzukehren, ging Rhia vorsichtig die Passage auf der Leeseite entlang. Die See hob und senkte sich gewaltig, und das Deck fühlte sich unter ihren Stiefeln schmierig an. Der Mond war voll und hing leuchtend wie eine riesige Perle hinter den Masten. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass er zugenommen hatte. Sie hatte aufgehört zu glauben, dass die Königin der Nacht sich auch nur einen Deut darum scherte, was mit ihr geschah. Das Beste, was die Königin und ihre Mondlaterne jetzt noch für Rhia tun konnten, war, dafür zu sorgen, dass sie sicher in ihre Kajüte kam. Das Mondlicht warf silberne Schatten auf jede brechende Welle. Als Rhia sich umdrehte, bäumte sich eine von ihnen auf wie ein Pferd und ließ einen Schwall eisigen Wassers auf sie niederregnen. Rhia hatte den Guss nicht kommen sehen und war bis aufs Mark durchweicht. Verdammter Manannan!
    Rhia zog die Stiefel aus und kroch förmlich zurück in ihre Kammer. Als sie die Tür hinter sich zugemacht hatte, lehnte sie sich einen Moment dagegen und schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, fiel ihr Blick auf ein kleines weißes Rechteck auf dem Boden. Sie hob es auf und zündete eine Wachskerze an. Laurence Blake, Fotogene Zeichnungen, 64 Cloak Lane, London City . Auf der Rückseite standen die Worte: Heute Abend, 22 Uhr .
    Nachdem Rhia die Wachskerze gelöscht hatte, legte sie sich in ihre Hängematte und starrte in die undurchdringliche Dunkelheit, fest entschlossen wach zu bleiben. Sie musste mit dem Kopf bei den Stiefeln bleiben, wie Annie Kelly es nannte. Wenn man seine Gedanken ins Bedauern abdriften ließ, fiel man zurück, und wenn man seinen Geist wilden Phantasien überließ, dann stürmte er ohne einen vornweg. Aber was gab es hier in der Gegenwart schon für sie? Nur das hohle Gefühl, versagt zu haben. Warum sonst wäre sie hier?
    Du bist Rhiannon .
    Ein leises Klopfen an der Tür ließ Rhia verwirrt hochschrecken. War es schon zehn Uhr?

Weitere Kostenlose Bücher