Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
so furchtbar aus?«
»Nein! Nun ja, du hast schon besser ausgesehen«, gab er zu. Rhia war froh, dass sein Humor zurückkehrte. Sie erkannte den Laurence kaum wieder, der jeden Moment kurz davor schien, ihr seine Liebe zu erklären. »Ich würde mein Leben in Dillons Hände legen«, fuhr er fort, »aber ich hoffe, er hat unrecht.«
»Unrecht?«
»Ich hoffe, dass deine Anwesenheit hier nichts mit Ryans Tod zu tun hat.«
Sie hatte längst aufgegeben, verstehen zu wollen, was bloß die Verbindung sein konnte. »Oh.«
Laurence schien es sofort zu bereuen. »Hat Dillon nichts zu dir gesagt?« Sie schüttelte den Kopf. Er runzelte die Stirn. »Ich hätte es nicht erwähnen sollen. Du hast ja bei Gott schon genug Sorgen.«
Wie konnte ihre Verhaftung mit Ryans Tod zusammenhängen? Es ergab keinen Sinn. War Mr Dillon auf der Suche nach einer skandalträchtigen Geschichte? War sie zu voreilig gewesen, ihm zu vertrauen?
Laurence zog das Negativ aus der Schutzhülle. Dann öffnete er die Papierschachtel und nahm ein Blatt heraus, das fast genau gleich aussah. Er legte das normale Papier auf das Negativ und befestigte beide dann unter dem Glas. Danach entfernte er das obere Holzbrett von der Presse, so dass das Sonnenlicht direkt auf die Glasscheibe fiel.
»Es wird ungefähr fünfzehn Minuten dauern. Um Himmels willen, Rhia, setz dich doch. Du siehst aus, als würdest du gleich umkippen. Ich bewahre in meinem Waschraum einen Spiritusbrenner und eine Kaffeekanne auf. Möchtest du gerne ein Glas Kaffee?«
Sie lächelte. Ein Glas Kaffee. Schon der Gedanke allein belebte sie.
»Ich nehme das mal als ein Ja«, erwiderte Laurence. Er verschwand durch eine getäfelte Tür hinter ihr.
Vorsichtig setzte Rhia sich auf den Sessel und ließ zu, dass das weiche Polster und das schaukelnde Blau und Grün durchs Fenster sie beruhigten. Sie lächelte immer noch. Kaffee, ein Freund und ein bequemer Stuhl. Es erschien ihr als außerordentlicher Luxus.
Das Papier in der Presse veränderte seine Farbe.
Laurence kehrte zurück und drückte Rhia ein dampfendes Glas in die Hand. Seine Finger berührten dabei die ihren, doch es hatte keinerlei Wirkung auf Rhia. Sie wünschte, es wäre so. Gierig atmete sie den intensiven Geruch ein, der aus dem Glas aufstieg. Laurence wandte sich ab, um nach der Übertragung zu sehen und winkte sie dann herbei.
Unter dem Glas wurde langsam ein schemenhafter Umriss in verschiedenen Braunschattierungen sichtbar. Einige von ihnen waren fast violett, andere hatten einen rötlichen Ton. Das Bild wurde jeden Augenblick schärfer. Eine Gruppe von Männern stand auf einem Rasenstück, eine Steinmauer mit Efeu hinter sich. Es war der Garten in der Cloak Lane. Rhia stand nun absolut reglos da, um den Zauber nicht zu stören, den die Sonne auf Salz und Silber vollbrachte. Noch mehr Details tauchten auf: das Glänzen eines Lackschuhs, die Körnung von Stoff, Bartstoppeln. Rhia beugte sich weiter vor, völlig gebannt. Das Bild war fast vollständig. Sie erkannte vier der fünf Männer: Ryan, Mr Montgomery, Mr Beckwith und Isaac Fisher. Der fünfte Mann, ein weiterer Quäker, wie man am flachen Hut mit der breiten Krempe und dem kragenlosen Mantel erkennen konnte, musste Josiah Blake sein. Er besaß ein rundes, freundliches Gesicht und blickte, im Gegensatz zu den anderen, mit einer solchen Intensität in die Kamera, dass Rhia fast das Gefühl hatte zu stören. Von den fünf Männern waren zwei tot …
Laurence nickte, als würde er etwas begreifen. »Das ist das Porträt, das Antonia letzten Sommer gemacht hat«, sagte er. »Sie hat es bisher nicht über sich gebracht, das Bild zu transferieren … Josiah zu sehen …« Laurence verstummte. Es war auch für ihn schwierig, Josiah anzusehen. Genau wie für Rhia der Anblick ihres Onkels.
Sie konnte den Blick nicht von Ryan abwenden. Er lächelte, seine Augen lachten, und seine Krawatte war keck gebunden. Mr Montgomery wirkte schneidig, seine Haltung elegant und aufrecht und sein Gesicht entspannt. Mr Beckwith war gebeugt und etwas linkisch, aber er hatte seine Halsbinde gerade gerückt und sein Haar geglättet. Isaac Fisher wirkte unergründlich wie immer.
»Ich bin völlig überwältigt«, erklärte sie schließlich. »Ich schätze mal, ich sollte es Margaret geben, damit sie es mit dem Negativ zusammen aufbewahren kann. Vermutlich wollte Juliette aus irgendeinem Grund, dass ihre Mutter das Porträt sieht. Aber glaubst du, dass Antonia es Juliette gegeben
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