Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
Pint Schwarzbier vor ihm stand und er sich noch einmal an Michaels Tabak bedient hatte, beugte er sich über das Fass und senkte die Stimme.
»Einer der Jungs vom Sydney Herald ist in ein … persönliches Geschäft mit der Frau vom Sekretär des Gouverneurs verwickelt.«
»Was du nicht sagst?« Michael zog an seiner Pfeife und beobachtete Will aufmerksam.
»Genau. Und sie hat ihm – natürlich unter strengster Geheimhaltung – verraten …«, Will hielt grinsend inne, denn Geheimnisse waren lediglich eine weitere Form der Währung.
»Natürlich«, stimmte Michael ihm zu.
»Sie hat ihm erzählt, dass die Schatzkammer im Government House, wo sie die alten Münzen aufbewahrt haben, aufgebrochen wurde. Das ganze fremdländische Silber ist weg.«
»Na, so was! Wann denn?«
»Ach, vor einiger Zeit schon.«
Michael nickte langsam. »Dann könnte es da unten bei den Rocks einige sehr beschäftigte Münzer geben.«
»Das habe ich mir auch gedacht«, pflichtete Will ihm bei.
»Hast du noch jemandem davon erzählt?«
»Hatte keinen Grund dazu.«
»Nun, wenn du einen Grund findest, würdest du es mich wissen lassen?« Will sicherte es ihm zu, woraufhin Michael aufstand und sein Glas leerte. Er musste an die frische Luft.
Am Ende der George Street erstreckte sich der harte Glanz des Pazifiks, bis er an die Wand des Horizonts stieß. Michael würde nach Hause fahren, also konnte er es sich leisten, besinnlich zu sein. Er konnte sich von der Leistung dieser jungen Stadt beeindrucken lassen, die inzwischen mehr als dreißigtausend Einwohner zählte. Das Gitternetz aus Straßen, das sich über den erhabenen Sandstein zog, war ihm einst ungeheuer fremd erschienen, doch nun war ihm das Raster so vertraut wie die Linien in seiner Handfläche.
Er würde heute Abend etwas darüber schreiben, in seiner letzten Flugschrift. Darüber, wie wenig hier an England oder Irland erinnerte, einschließlich dem Versprechen von Reformen. Die Anmaßungen sozialer Schichten wurden abgestreift wie ein abgetragener Anzug, unpassende Kleidung für einen Australier. Drei Generationen konnten sich nun wohl Australier nennen, aber was hielten die Eingeborenen davon? Das erinnerte Michael daran, dass er Jarrah seit einer Weile nicht mehr gesehen hatte. Wie der Rest seines Stammes wurde Jarrah einfach unsichtbar, wenn er nicht gesehen werden wollte.
Jarrahs Leute waren eine andere Art Gefangene, sie standen unter Hausarrest. Der Dreck aus Sydneys Slums floss in ihren heiligen Boden, was doch sicher dasselbe war, wie wenn man Fäkalien in die St. Patrick’s Cathedral kippen würde? Dieser gesamte Kontinent war der Tempel seiner Bewohner, genau wie Irland es einst gewesen war.
45
C HINTZ
5. Mai 1841
Wir waren zwei Tage lang im Schiffsbauch eingeschlossen, was bedeutet, dass seit Laurence’ Tod drei Tage vergangen sind. Wie kann er tot sein, wenn ich immer noch seine Stimme höre und die Wärme seiner Hand in meiner spüre? Wie soll Antonia das verkraften? Wir liegen jetzt in San Sebastiano, Rio, vor Anker, und ich muss eine Möglichkeit finden, einen Brief zu schicken. Ich warte die ganze Zeit darauf, dass mir jemand sagt, dass es sich um einen entsetzlichen Irrtum gehandelt hat und ich eine Nachricht von Laurence erhalte.
Man hat für mich eine weitere Hängematte in der Messe aufgehängt, was einen gewissen Aufruhr verursacht hat, weil Agnes nicht in meiner Nähe schlafen wollte und Jane nicht mit Agnes tauschen wollte, weil sie dann neben Georgina liegen müsste. Und was die Sache noch mehr verkompliziert hat, ist, dass niemand mutig genug war zuzugeben, dass sie nicht zu nahe bei Nora sein wollten, weil ihr Schnarchen ohrenbetäubend ist und vermutlich die Schweine und Hühner auf der anderen Seite wach hält. Beim Frühstück gestern drohte Agnes Jane mit Prügel wegen ihres Schnarchens, obwohl alle wussten, dass Nora diejenige war. Jane ließ es wiederum natürlich an Georgina aus. Sie bezeichnete sie als fetten Schwachkopf, weil sie dachte, Australien läge vor der Westküste von Wales. Margaret ist so still, dass es mir Sorgen bereitet. Während wir unten eingeschlossen waren, hat sie die ganze Zeit an ihrem Kreuzstich gearbeitet, den Kopf über den Stoff gebeugt, so dass niemand ihr Gesicht sehen konnte. Ich glaube, sie ist kränker, als sie zugeben will. Und natürlich weiß sie, was mit Laurence passiert ist. Niemand sonst tut das hier unten, vermute ich. Miss Hayter weiß sicher Bescheid, vor allem wenn sie dem Kapitän so
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