Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
verstanden. Mit Licht malen, hat er’s genannt. Zu hoch für mich.«
Rhia hörte ihn kaum. »Vielleicht hat derjenige, der ihn umgebracht hat, das Porträt genommen.«
»Wer könnte das haben wollen?«
Rhia schüttelte den Kopf. Wer auf der Rajah , abgesehen von Margaret, wusste überhaupt von dem Porträt, ganz zu schweigen davon, es haben zu wollen? »Albert, kommst du in Laurence’ Kajüte hinein?«
Er zuckte wieder mit den Schultern. »Wenn ich wollte.« Es war klar, dass dem nicht so war.
»Wenn das Porträt nicht gestohlen wurde, dann muss es irgendwo in der Kajüte sein. Wenn du es findest …«
»Wenn ich es finde, dann bring ich es zu Ihnen.«
»Es gibt da noch etwas.«
»Sie sind aber nich leicht zufriedenzustellen, was, Mahoney?«
»Wenn ich’s wäre, säße ich ja nicht auf diesem verfluchten Schiff, oder? Ich muss einen Brief schicken. Ist das möglich, ehe wir weitersegeln?«
»Wir legen morgen ab. Ich hab heute Abend Freigang, um an Land zu gehen. Is der Brief fertig?«
»Ist er.« Sie hatte eine Seite aus ihrem roten Buch verwendet und den Umschlag, in dem Laurence seine Nachricht unter ihrer Tür durchgeschoben hatte. Ihr kostbarer Füllhalter hatte fast keine Tinte mehr, aber der Brief steckte in ihrer Schürzentasche. Rhia gab ihn Albert. »Pass auf, dass der Postmeister Siegelwachs verwendet«, schärfte sie ihm ein. »Albert, ich bezahle dich dafür, sobald … bald.«
Er verdrehte nur die Augen. »Ich hab mir schon ein Buschmesser gekauft und immer noch Münzen übrig.«
»Wie lange wird es dauern, bis die Post London erreicht?«
»Kommt drauf an. Normalerweise drei Wochen mit dem Klipper.« Er wandte sich zum Gehen, doch Rhia musste noch etwas anderes wissen. »Albert, ist er …?«
»Er is in der Eistruhe auf der Krankenstation. Der Arzt wollte ihn sich richtig ansehen, damit er weiß, was passiert is. Sie wollten ihn an Land bringen, aber die Hafenbehörde hat’s nicht erlaubt.«
»Aber was passiert dann?«
»Er wird auf See bestattet, sobald wir aus dem Hafen draußen sind.«
46
S EGELTUCH
Agnes fing damit an. Sie beharrte darauf, dass ein Verrückter einen Passagier nach dem anderen umbrachte, dass es schon drei Tote gegeben hatte und sie deshalb hier unten festsaßen. Natürlich würde er es bald auf eine von ihnen abgesehen haben. Georgina sagte, sie hätte gehört, dass einem Gentleman wegen eines Beutels voll Silber die Gurgel durchgeschnitten wurde, doch man hätte den Mörder gefasst, und er verrotte nun in einem Kerker in Rio. Eine andere war der Ansicht, der Koch sehe aus wie jemand, der herumlief und Leute abstach. Rhia hatte schon denselben Gedanken gehabt – schließlich besaß der Koch eine Auswahl an Messern. Man war sich einig, dass mindestens eine Person von einem Verrückten ein Messer in den Hals bekommen hatte, doch die Frauen wurden es nicht müde, über die Einzelheiten zu diskutieren, und darüber, ob der Mörder noch an Bord war oder nicht.
Am dritten Morgen nachdem sie San Sebastiano verlassen hatten, war die Luft schwer vor Feuchtigkeit und Furcht. Es waren keine Aufseherinnen in der Messe, also hockte Margaret mit ihrer Breischüssel in ihrer Hängematte, aber sie aß nichts. Rhia hatte den Chintz in ihrer Schürzentasche, um ihn Margaret zu zeigen, bevor sie eine Entscheidung traf. Und ehe sie Gelegenheit dazu bekam, kehrte am Tisch plötzlich Stille ein, was normalerweise bedeutete, dass es unschön werden würde.
Georgina schlürfte ihre Grütze so laut wie möglich, da sie wusste, dass dies Jane mehr als alles andere auf die Palme brachte. Jane funkelte sie drohend an. Nora grinste zufrieden und genoss die Vorführung, während die anderen misstrauisch weiteraßen und darauf warteten. Schließlich schleuderte Jane ihren Löffel nach Georgina, der sie mitten auf der Nase erwischte.
»Miststück!«, kreischte Georgina. Sie stand auf, beugte sich über den Tisch und schüttete Jane den Inhalt ihrer Schüssel über den Kopf. Das klebrige Zeug lief an Janes kurzen Haaren herunter. Sie heulte vor Wut und warf ihren Napf mit voller Wucht nach Georgina, traf jedoch Agnes, die sich prompt auf Jane stürzte und sie von der Bank stieß. So rollten sie über den Boden, zerrten an den Kleidern, kreischten und zogen sich an den Haaren. Niemand versuchte sie zu trennen.
Als Miss Hayter auftauchte, feuerte Nora sie mit Rufen an, und Nelly heulte laut. Die anderen, Rhia und Margaret eingeschlossen, schauten zu. Man konnte sonst nichts tun. Miss
Weitere Kostenlose Bücher