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Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Titel: Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kylie Fitzpatrick
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Zähnen und einem Ave-Maria hervor. Sie war sich sicher, dass sie in einem Kessel landen würde, noch bevor sie Parramatta erreichten. Doch ihr Soldat war mit auf dem Kahn.
    Die Sonne stieg hoch, und man gab ihnen gegen den Hunger noch mehr ungesäuertes Brot. Eine weitere Stunde verging, oder vielleicht auch mehr, bis plötzlich jemand aufschrie. Das Geräusch war so schrill, dass ein großer Schwarm Vögel aus den Bäumen aufflog und im Chor mitkreischte. Am Ufer stand ein Mann, zwischen zwei weißen Baumstämmen, aber er selbst war nicht weiß. Er war schwarz wie poliertes Leder, trug einen Umhang aus zusammengenähten Pelzstücken und anscheinend sonst nicht viel. Völlig reglos stand er da. Mit feierlichem Desinteresse beobachtete er, wie sie vorbeifuhren. Seine stocksteife Pose und die stoischen Rillen seines Gesichts ließen Rhia kurz erwägen, ob es sich vielleicht um eine Schnitzerei handelte. Sein Gesicht war wie die Maske der Zeit selbst, und doch war etwas an ihm quälend vertraut. Vielleicht lag es daran, dass sie die Anwesenheit des Volkes dieses Mannes sofort gespürt hatte, als sie ihr Land betreten hatte. Der Kahn zog langsam vorbei, doch der Mann bewegte sich nicht und folgte ihm auch nicht mit dem Blick.
    Als die Sonne hoch am Himmel stand, tuckerten sie zu einem abgeholzten Uferstück hinüber, wo sich eine Art Schenke befand. Es handelte sich um ein ungestrichenes flaches Haus mit einer gefährlich schiefen Veranda. Wie sich herausstellte, war es kaum mehr als ein Rum-Laden und das Einzige, was außer Rum angeboten wurde, war etwas, das der angetrunkene Wirt als Kängurupastete bezeichnete. Es handelte sich dabei um einen Eintopf, der in einem Stück desselben faden Brotes serviert wurde, das sie seit ihrer Ankunft bekommen hatten. Der Wirt nannte es Buschbrot, und es war so trocken wie die Asche, in der es gebacken worden war. Sie saßen auf Baumstämmen ums Feuer herum und aßen ihre Kängurupastete. Das Fleisch war angeblich »wild und hier aus der Gegend«. Dasselbe traf wohl auch auf den Wirt zu.
    Nach dem Essen wurde nicht lange gezögert. Sie machten sich auf den Rückweg zum Kahn, als das dumpfe Klopfen auf einmal wieder zu hören war, diesmal näher als zuvor. Dann sprang plötzlich etwas, das überhaupt nicht wie ein Bär aussah, vor ihren sich dahinschleppenden Zug. Mit einem hüpfenden graubraunen Schatten war es sofort wieder verschwunden, was einigen Frauen einen Schrei entlockte, der wieder von den Vögeln auf einem Baum beantwortet wurde. Als das Tier und sein Geräusch verschwunden waren, konnte man das leicht verrückte Lachen des Wirts immer noch hören.
    »Das war ein Känguru«, rief er ihnen zwischen zwei Lachern nach.
    »Pah!«, machte Nora. »Das is nix als ein riesiger Hase mit dem Schwanz einer übergroßen Ratte.«
    Rhia lachte – aus Erleichterung und nervlicher Anspannung heraus und weil die Kreatur entweder die größte Ratte oder der seltsamste Bär war, den sie je gesehen hatte. Sie konnte erkennen, dass Nora genauso erschrocken war wie alle anderen, aber sie hatte ihr Feuer noch nicht verloren. Auch das war eine Erleichterung. Rhia wusste nicht, was sie tun würde, wenn Nora ihre Boshaftigkeit abhandenkam. Solange es immer noch eine unter ihnen gab, die nicht daran zerbrach, konnte sie alles überleben. Das Lachen breitete sich rasch aus, und bis sie den Kahn erreichten, waren sie alle so fröhlich, als hätten sie vom Rum getrunken.
    Den ganzen Nachmittag über hatten sie den Wind im Rücken, und als eine hohe Steinmauer anstelle der Baumreihen aufragte, wussten sie, dass sie ihren Bestimmungsort erreicht hatten. Die Mauer schien sich endlos am Ufer entlangzuziehen. Sie war grau und abweisend und weckte in Rhia fast den Wunsch, sich an ein Gebet zu erinnern.
    Es konnte sich nur um ein Gefängnis handeln.
    Körperlose Stimmen drangen über das Wasser herüber, vermutlich aus der Stadt Parramatta, die man nicht sehen konnte. Sie legten an einem Pier in der Nähe von hochaufragenden schwarzen Eisentoren an, und Rhia begegnete Noras Blick. Zu ihrem Erstaunen zwinkerte Nora ihr zu, ehe sie sich herüberbeugte. »Es wird nicht für immer sein«, flüsterte sie. »Was auch immer du tust, Mahoney, lass die bloß nicht merken, dass du Angst hast.«

52
    P ARRAMATTA
    26. Juli 1841, Parramatta
    Ich verliere den Überblick über die Wochen, doch die erste Nacht werde ich nie vergessen. Man trieb uns in der Dämmerung auf den stoppeligen Rasen, umgeben von der Silhouette der

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