Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
für sie übrig, nachdem sie den Mehrbetrag von einem Pfund für die Herstellungskosten an die Regierung bezahlt haben. Die englische Krone verdient an unserer Arbeit! Und das nennt sich dann Freihandel.
Es gibt noch andere Wärterinnen, die nicht so freundlich sind wie die Spinnstuben-Aufseherin. Nora wurde inzwischen dreimal zu schwerer Arbeit auf dem Gelände abgeordnet – bloß wegen eines Seitenblicks und etwas Gemurre. Im Murren liegt keine Befriedigung, wenn man zur Strafe Steine klopfen und die harte Erde umgraben muss. Für kleinere Vergehen entzieht man uns Tee und Zucker, und wegen meiner verflixten Neugier und dem Fehler, den falschen Aufseherinnen Fragen zu stellen, muss ich schon lange darauf verzichten.
Das Licht in der Spinnstube ist trüb und die Luft stickig wegen eines rauchenden Feuers an einem Ende. Einige der Frauen, die ich kenne, arbeiten hier: Jane und Nelly und Agnes und Nora, wenn sie nicht gerade bestraft wird. Pearl liegt immer in Nellys Nähe in einer Weidenwiege, die ihr jemand gegeben hat, und trotz des Elends um sie herum wird sie dick und süß. Nellys Soldat hat beantragt, sie zur Frau zu nehmen. Ich hoffe, sie kann gehen, ehe Pearl ihrer Wiege entwächst.
Die Frauen, die nicht spinnen können, klauben die Farnstücke und Zotteln aus den Vliesen oder wickeln die gesponnene Wolle auf. Das Garn wird irgendwo anders in Parramatta von männlichen Sträflingen an Handwebstühlen gewebt. Das Weben wird sogar hier als Männerarbeit betrachtet, als läge der simple Mechanismus eines Webstuhls jenseits des weiblichen Verstandes.
Es gibt hier keine Mühlen, die Energie für mechanisierte Webstühle liefern würden. Wie es scheint, gibt es in der ganzen Kolonie nur einige wenige kostbare Mühlen. Manchmal muss ich daran denken, was Ryan in jener Nacht, als er starb, zu mir gesagt hat, als er in mein Zimmer kam. Damals dachte ich, es sei ein Traum. Er sagte, es sei an mir, eine Schiffsladung australische Wolle an meine Mutter zu schicken. Nun, hier sitze ich und spinne das Zeug, aber ich habe nicht die leiseste Ahnung, wie mich das dem Verschiffen näher bringen soll. Das ölige Gefühl der Wolle und das Zwirbeln des Fadens zwischen meinen Fingern auf die Spindel ist eine solch vertraute Handlung, dass ich meine Gedanken nicht von Greystones fernhalten kann. Ich habe den Versuch aufgegeben, nicht an zu Hause zu denken, denn nur in meiner Phantasie und in meinen Erinnerungen kann ich mich noch lebendig fühlen. Mein Körper ist immer entweder kalt oder müde oder hungrig. Ich kann mir alle möglichen Dinge gedanklich herbeizaubern: ein Mahl aus Starkbier, Eintopf und Sodabrot mit Annie Kellys gelber Butter, und Brombeeren mit dicker Sahne. Manchmal kann ich den Stoff, den ich einst getragen habe, fast spüren, und ganz, ganz selten erspähe ich das Flimmern eines neuen Musters am Rande meines Bewusstseins, als ob es gerade außer Reichweite tanzen würde.
Noch eine letzte Sache, dann muss ich schlafen, denn bei Tagesanbruch ertönt die Glocke. Und uns bleiben nur Minuten, bis wir am Frühstückstisch erscheinen müssen. Es ist zu schrecklich, nicht nur frierend, sondern auch noch hungrig in die Spinnstube geschickt zu werden. Die Frauenfabrik hat noch andere Funktionen außer dem Spinnen von rauer Wolle. Sie ist auch ein Heiratsmarkt, denn freie Männer dürfen sich unter den weiblichen Sträflingen eine Ehefrau aussuchen. Gott sei Dank wird niemand gezwungen, mit dem Freier mitzugehen, doch wie ich höre, tun es die meisten trotzdem, bloß um dem Ort zu entkommen.
Agnes hat einen florierenden Handel im Freiergeschäft aufgetan, und da sie gerne ihr eigenes Unternehmen aufziehen möchte, ist sie darauf aus, Erfahrungen in einem australischen Bordell zu sammeln. Prostitution ist die einzige Möglichkeit, ein Leben außerhalb der Fabrik zu fristen, wenn man sonst keine Talente hat, und der Grund, weshalb so viele Insassen schwanger zurückkehren. Viele der Frauen, die in ihrer Freizeit das Gelände verlassen dürfen, nutzen die Gelegenheit, um bei ihrem Zweitgewerbe noch etwas dazuzuverdienen. Wie ich höre, gibt es einige eingesessene Bordelle in Parramatta. Ich habe die Möglichkeit selbst in Betracht gezogen, aber ich bin zu wenig ausgebildet.
52
28. Juli 1841, Parramatta
Ich habe einen echten Australier getroffen, auch wenn ich das niemandem außer Dir erzählen werde. Ich bin sicher, dass es sich um denselben Herrn gehandelt hat, den wir am Tag unserer Ankunft vom Parramatta-Fluss
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