Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
ein oder zwei Fragen, und dann bin ich schon wieder weg.« Ein Hauch von Angst huschte über das charakterlose Gesicht des jungen Mannes, ehe sie von einem steifen, unnatürlichen Lächeln verdeckt wurde. »Aber natürlich, Mr Kelly. Treten Sie ein.«
Das Zimmer war nicht groß. Die Einrichtung bestand aus einem Kiefernholzbett und einem kleinen Tisch. Auf dem Tisch lag ein riesiges Buch, und daneben stand ein halbes Glas Rotwein. Ein Feuer brannte im Kamin. Auf dem Fußboden und auf einem Schrankkoffer an der Wand stapelte sich eine große Anzahl Zigarrenkisten.
Michael hatte kein Interesse daran, es diesem Mann leichtzumachen. Er konnte genauso gut gleich zur Sache kommen und sehen, was passierte. »Ich habe Anlass zu der Annahme, dass Sie eine Porträtaufnahme aus der Kabine von Laurence Blake gestohlen haben.«
Nun bekam es Mr Reeve sichtlich mit der Angst zu tun. Er fing trotz der Kühle des Gebäudes an zu schwitzen. Diese Holzbauten waren für lange, heiße Sommer gebaut, nicht für kalte, kurze Winter. Er versteckte seine Furcht jedoch relativ gut hinter seinem arroganten Auftreten. »Und was geht Sie das an?«
Michael trat einen Schritt näher auf den Mann zu, der mit dem Rücken zum Feuer stand. Er hatte nicht vor, die Beherrschung zu verlieren, aber es konnte ja nichts schaden zu zeigen, dass er zumindest dazu in der Lage war. »Die Sache ist die, ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, die Interessen der Familie Mahoney zu schützen. Sie sind Freunde . Aber wahrscheinlich ist Ihnen dieses Konzept nicht vertraut. Also warum holen Sie jetzt nicht einfach dieses Porträt, damit ich es mir ansehen kann?«
Irgendetwas an seinem Tonfall schien einen Nerv zu treffen. Reeve warf einen letzten empörten Blick auf Michael, ehe er zum Tisch ging und ein festes Stück Pergament aus den hinteren Seiten seines Buches zog. Er kam nur langsam zurück, das Bild an seine Brust gedrückt. Michael streckte die Hand aus, aber der Botaniker starrte ihn nur unentschlossen an. Michael machte noch einen Schritt auf ihn zu, so dass er nahe genug war, um zuschlagen zu können. Er spürte, wie sich seine Hand zur Faust ballte; wieder dieser Reflex. Ganz bewusst ließ er sie wieder locker. »Ich sage es nur noch einmal: Geben Sie mir das Bild, oder ich hole es mir.«
Mit einer Grimasse hielt Reeve ihm das Pergament hin, doch als Michael gerade danach greifen wollte, warf Reeve es ins Feuer. Es färbte die Flammen blau und grün, doch übrig blieb nur ein Aschefetzen. Der letzte Ausdruck auf dem Gesicht des Botanikers, bevor Michaels Faust auf seinen Kiefer traf, war selbstgefällige Komplizenschaft. Der Schlag warf ihn hinterrücks auf den Boden. Michael würdigte ihn keines weiteren Blickes, sondern verließ das Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich.
Als er am Rand des Hyde Parks entlangging, fluchte er frustriert, dass er zugelassen hatte, dass so etwas passieren konnte. Dann verdrängte er den Vorfall mühsam aus seinen Gedanken. Es hatte keinen Sinn, einen ansonsten völlig passablen Abend zu verderben. Ihm fiel auf, wie die perlweiße Sichel des Mondes über der Reihe frisch gesetzter Norfolk-Kiefern hing. Und ihm fiel auf, wie sauber die Blumenbeete umgegraben waren, wo man die Rosenbüsche, völlig unpassend, zwischen Farne und stachelige einheimische Stauden gesetzt hatte. Als ob man dieses Land zähmen könnte. Erst an diesem Morgen war er mit Jarrah aus dem Busch wiedergekommen und freute sich auf ein Glas dunkles Bier und eine Mahlzeit, der man nicht erst das Fell abziehen musste.
Sollte er Calvin zuerst vom verschwundenen Matrosen erzählen oder von einem bewusstlosen Botaniker, der zur Untermiete in der Elizabeth Street wohnte? So oder so war es an der Zeit, den Chef der Hafenbehörde auf den neuesten Stand zu bringen. Calvin würde jetzt entweder im White Horse in der Pitt Street oder bei einer Dame sein. Das Etablissement, das Calvin bevorzugte, nannte sich nicht Bordell, sondern Gentlemen’s Club , und die Prostituierten waren eine Klasse besser als Maggies Mädchen. Sogar Maggie selbst würde dem zustimmen. Sie waren sauberer, besser gekleidet und diskreter. Natürlich waren sie auch teurer.
Es war noch früh, also saß Cal vermutlich noch in der Taverne.
Im White Horse nahmen die Perücken- und Uniformträger von Sydney ihre Drinks zu sich, und es war kein staubiger Stiefel oder dreckiger Fingernagel in Sicht. In der Tat saß Cal mit Bier und Zeitung in einer Nische. Michael holte sich ebenfalls ein
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