Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
alles hätte seinen Preis. Die beiden hatten viel gemeinsam, dachte Rhia: Sie fühlten sich von Korruption persönlich beleidigt und kämpften lieber mit dem Stift als mit der Pistole. Allerdings besaß Michael noch eine andere Art von Waffe, denn sie hatte den Schaft aus seinem Stiefel schauen sehen.
Bisher hatte sie es noch nicht gewagt, das Baumbild anzusehen. Vorsichtig ließ sie ihren Blick in Richtung der fotogenen Zeichnung wandern. Sie sah anders aus. Vielleicht besaß sie einfach nicht länger die Macht, ihr Furcht einzuflößen. Ihre Angst und sie hatten Frieden geschlossen.
Antonia kehrte mit einem Teetablett zurück, und sie nahmen am Tisch Platz, Mr Dillon gegenüber von Rhia. Schatten und Geister mochten ihr keine Probleme mehr bereiten, doch sie hatte Schwierigkeiten, seinem Blick zu begegnen. Noch etwas, das sie überwinden sollte. Sie sah ihm direkt in die Augen und glaubte etwas zu erkennen, das sie dort noch nie zuvor gesehen hatte: etwas Weiches, eine stumme Frage. Ihr wurde dabei nicht schwach zumute, was laut Heftromanen angeblich der Inbegriff von Weiblichkeit war, sondern sie hatte das Gefühl, endlich in ihrer Haut angekommen zu sein. Dillon sah weg, so dass Rhia sich fragte, ob es ihm womöglich auch nicht gleichgültig war.
Er blickte in die Runde, doch als er Rhias Blick begegnete, war seine Miene wieder verschlossen. »Wir wissen jetzt, dass Isaac Fisher und Ryan Mahoney die Mathilda dazu benutzt haben, mit Opium zu handeln, und dass sie und ihr Schwesternschiff, die Sea Witch , an einem Falschgeldschmuggel beteiligt waren. Mr Kelly, glauben Sie, es ist möglich, dass die beiden Aktivitäten von unterschiedlichen Parteien initiiert wurden?«
»Durchaus«, stimmte Michael ihm zu. »Die meisten Handelsschiffe können vermietet werden, wenn sie gerade nicht irgendwie im Einsatz sind.«
»Also«, drängte Dillon, »die Mathilda verließ Lintin Island mit einer Fracht Silber und segelte in pazifische Gewässer, östlich der Bucht von Sydney, wo das Silber auf die Sea Witch umgeladen wurde, im Austausch gegen einen Schiffsbauch voll gefälschter Münzen?«
Michael nickte schweigend, dann sah er Rhia an. »Möchtest du Mrs Blake von dem Negativ erzählen?«
Antonia schaute Rhia erwartungsvoll an, und Rhia erklärte ihr so vorsichtig wie möglich, wie das Negativ auf die Rajah gelangt war, wie ein Bild davon erstellt wurde und wie dieses schließlich zerstört worden war.
Antonia schüttelte den Kopf. »Kein Wunder …« Sie beendete ihren Satz jedoch nicht, dachte aber mit Sicherheit an Juliettes seltsames Verhalten. Sie nippte an ihrem Tee und wandte sich dann an Dillon. »Sie wussten es, nicht wahr, an dem Tag, als Sie zu Besuch kamen – als Juliette uns von ihrem Vater erzählt hat?«
Er nickte. »Verzeihen Sie mir, aber ich hielt es nicht für ratsam, die Vermutung mit Ihnen zu teilen. Es hätte die Situation zwischen Ihnen und Ihrem Dienstmädchen nur verkompliziert.«
Antonia wirkte verwirrt. »Aber das Negativ wurde doch nicht zerstört?« Fast flehend sah sie Rhia an.
»Es ist verloren. Vermutlich zerstört. Es tut mir so leid, Antonia …«
Antonia schüttelte fassungslos den Kopf.
»Ich würde gerne einmal sehen, wie diese fotogenen Zeichnungen funktionieren«, warf Michael ein, »denn so ganz habe ich es immer noch nicht verstanden.« Rhia nahm an, dass er den Schock etwas mildern wollte, und sie mochte ihn dafür noch mehr als bisher.
»Das lässt sich einrichten«, versicherte Antonia ihm.
»Aber zuerst«, sagte er, »sollte ich Ihnen von dem Abend berichten, an dem ich den Botaniker Mr Reeve besucht habe, und von einem gewissen Mick the Fence, der wegen Falschmünzerei festgenommen wurde.« Zu dem Zeitpunkt, als sie Sydney verließen, erzählte Michael ihnen, war mehr als ein Dutzend Leute verhaftet worden, unter ihnen der Kapitän der Sea Witch . Dieser behauptete, er wisse nichts, außer dass ein Agent in Kalkutta den Klipper gemietet hatte, und dass sich nur schwer nachvollziehen lassen würde, wer für diese Fahrt bezahlt hatte. »Es gibt jede Menge Händler, die nicht mit Opium in Verbindung gebracht werden wollten. Gefälschte Silbermünzen im Wert von zwanzigtausend Pfund wurden an den Gouverneur übergeben, aus dessen Tresor die ausländischen Münzen gestohlen worden waren. Vermutlich werden sie jetzt als Metallgemisch weiterverkauft und davon einige weitere Gebäude mit Zedernholz ausgestattet«, stellte Michael trocken fest. »Schwer zu sagen, wer der
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