Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
mit den Schultern. Sie sehnte sich nach dem Schiefergestein und den Hügeln und nach ihrer Mutter, ja sogar nach ihrem Vater, aber sie war sich nicht sicher, ob sie würde bleiben wollen. »Es gab eine Zeit, da wollte ich nichts mehr, als London sehen und fremde Länder bereisen. Das habe ich jetzt. Wenn auch nicht auf die Art und Weise, wie ich es mir vorgestellt hatte«, fügte sie lachend hinzu. »Ich bin ruhiger geworden, aber das soll nicht heißen, dass ich gerne den Rest meiner Tage in einem irischen Dorf verbringen möchte …«
»Vielleicht stellen Sie fest, dass die Lösung in Ihrer Arbeit liegt, Miss Mahoney. So ist es mir immer gegangen. Sie sind Künstlerin, aber Sie mögen auch die Lebendigkeit des Handels.«
Ihm war etwas an ihr aufgefallen, was sie selbst noch gar nicht richtig bedacht hatte. Ehe sie es sich anders überlegen konnte, erzählte sie ihm von ihrem Traum, mit einem Beruf nach Hause zurückzukehren.
»Träume können mitunter ein Instrument der Wahrheit sein«, erwiderte er mit einem kleinen Lächeln.
Rhia sah ihn mit gespieltem Entsetzen an. »Aber Sie ermutigen eine Frau, einen Beruf zu ergreifen!«
Nun lächelte er nicht mehr, sondern blickte sie ganz ernst an. »Sie hatten bereits den Mut, sich gegen die Konventionen zu stellen«, sagte er, »das mochte ich von Anfang an an Ihnen. Und ich weiß, dass auch Laurence diese Eigenschaft an Ihnen bewunderte. Er mochte Sie sehr gern, müssen Sie wissen.« Seine Stimme versagte, und er stand auf und ging ans Feuer, wobei er sich halb von ihr abwandte. Rhia nutzte die Gelegenheit, um sein Profil zu studieren: die gerade Nase und die hohe Stirn, seine Haut, das schwarze Haar. Er wirkte auf einmal so vertraut, doch gleichzeitig kannte sie ihn ja kaum.
»Ich kann nicht so tun, als hätte ich von Mr Blakes Gefühlen keine Kenntnis gehabt«, sagte sie vorsichtig, »doch meine Empfindungen waren nicht … im Einklang mit seinen.«
»Das habe ich mich schon gefragt.« Er zögerte. »Laurence war mein Freund, und ich würde das jetzt nicht sagen, wenn er …«
»Wenn er noch am Leben wäre?«
»Ja.«
»Was? Was würden Sie nicht sagen?«
»Dass ich Sie von Anfang an geliebt habe.«
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P ERGAMENT
Beth klopfte leise an die Schlafzimmertür und trat mit einem Korb Anzündholz ein, als Antonia gerade die Umschläge versiegelte, die sie dem Schlachterjungen mitgeben würde. Er war schneller als die Morgenpost und immer froh, einen Viertelpenny oder zwei extra zu verdienen.
»Ein schöner, frischer Morgen, Madam.«
»Das ist es, Beth. Sind unsere Gäste schon aufgestanden?«
»Oh, Mr Kelly ist seit Morgengrauen auf – sagt, das sei bei ihm schon immer so gewesen. Er hatte aber noch kein Frühstück, wollte nur eine Kanne Tee.«
»Und Rhia?«
»Ich habe sie gehört, als ich an ihrer Tür vorbeikam. Ich mache nur schnell Feuer hier, und dann setze ich den Haferbrei auf.«
»Lassen Sie gut sein, Beth. Sie haben schon genug zu tun, wo Juliette nicht hier ist. Ich kann mich ohne das Feuer ankleiden.« Sie gab Beth die Briefe mit – einen für Isaac und einen für Jonathan Montgomery.
Antonia wusch ihr Gesicht mit Zitronenwasser, zog ihr blaues Wollkleid über und steckte die Haare hoch. Als sie herunterkam, saßen ihre Gäste bereits im Frühstückszimmer am Tisch beim vorderen Fenster, der fürs Frühstück gedeckt war. Michael erhob sich, als sie eintrat.
»Guten Morgen, Mrs Blake.«
»Das wünsche ich Ihnen beiden ebenfalls«, erwiderte sie. »Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen?«
»Ja, vielen Dank.« Michael wirkte jedoch nicht so, als hätte er eine gute Nacht gehabt. Wie seltsam und unvertraut dies alles für ihn sein musste: Nach Jahren als Gefangener wieder in London zu sein, zu wissen, dass er bald seine Frau und seinen Sohn wiedersehen würde. Bestimmt wäre er am liebsten von Sydney direkt nach Dublin gesegelt. Doch wie Mr Dillon richtig gesagt hatte, teilten sie ein Anliegen, und Mr Kelly schien Antonia nicht die Sorte Mann zu sein, der Dinge halbfertig liegen lassen würde.
»Ich habe kein Auge zugetan«, erzählte Rhia. »Vermutlich weil sich der Fußboden nicht bewegt hat.«
Oder vielleicht wegen Mr Dillon, dachte Antonia. Sie setzte sich, und Rhia schenkte ihr Kaffee ein. Sie unterhielten sich über Wolle. Antonia hielt es für eine ausgezeichnete Unternehmung und sagte das auch. »Um ehrlich zu sein«, fügte sie hinzu, »wäre ich nur zu gerne bereit, falls Sie einen Agenten in London suchen.«
Als Beth ihre
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