Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
irgendwann zu uns zurückkommst?«
»Wie kannst du so etwas sagen! Du glaubst doch nicht, dass ich für immer gehe? Ich will überhaupt nicht weg, aber ich habe keine Wahl.«
Er lachte bitter auf. »Mein Pa hatte keine Wahl. Aber du wolltest unbedingt nach London, seit du ganz klein warst.«
Das stimmte. »Aber so wollte ich es nicht. Nicht, wenn ich mir eine Stelle suchen muss.«
»Ich weiß, und ich bedauere eure Probleme, aber du hast ja keine Ahnung, wie sehr du bisher vom Glück verwöhnt warst. Du musstest nie darüber nachdenken, womit du deine ziegenledernen Hausschuhe oder deine Samtschleifen bezahlen würdest. Es wird bestimmt nicht so schlimm. Du bist schnell im Denken und äußerst einfallsreich.«
»Aber ich bin nicht höflich. Und alle Londoner, die ich kenne, legen großen Wert auf Höflichkeit. Außerdem bin ich nicht klug genug für eine Gouvernante.«
Thomas schüttelte nur den Kopf, als müsse er darauf gar nicht erst antworten. Er wandte den Blick von ihr ab und sah hinaus zu den Wellen, die sich am Strand brachen. Epona scharrte im Sand an der Pforte. »Sie wird dich vermissen«, sagte er und deutete mit dem Kopf zur Stute.
»Du passt doch gut auf dich auf, oder, Thomas?« Er gab keine Antwort. Wie sein Vater leitete er eine kleine Gruppe von Katholiken, die sich heimlich trafen, um einen Aufstand zu planen. Er und seine Männer hatten ihre eigene Vorstellung von Gerechtigkeit, die sie an den protestantischen englischen Grundherren vollziehen wollten, die ihre Pächter ungerecht behandelten. Ihre Aktivitäten waren oft gewalttätig und immer gegen das Gesetz, und Rhia fragte nie danach. Aber sie hörte natürlich Dinge, und die waren schlimm genug. Kürzlich hatte sie außerdem erfahren, dass Thomas eine Liebste hatte, die Schwester einer dieser Männer.
»Ich habe gehört, dass du Fiona Duffy den Hof machst.«
Er ignorierte ihre Bemerkung. »Was macht deine Malerei? Hast du neue Einfälle?«
Rhia lächelte. »Ungefähr hundert Ideen. Aber ich hab trotzdem den Pinsel seit Wochen nicht angerührt.«
Als Kinder waren sie zusammen auf Bäume geklettert, hatten nackt gebadet und Hexenringe gesucht. Thomas hatte ihre ersten Versuche mit Farbpigmenten verfolgt, während er im Herbst auf dem Waldboden oder im Sommer im hohen Gras gesessen hatte. Er hatte die seidige Innenseite einer nassen Muschel mit ihr bewundert, und die verästelten Äderchen eines trockenen Blattes. Zu ihrem sechzehnten Geburtstag hatte er ihr die Staffelei und den Farbkasten gebastelt. Damals hatte er Rhia gefragt, ob sie ihn heiraten wolle. Connor Mahoney erteilte ihm daraufhin für den Rest des Sommers Hausverbot.
Sie verweilten schweigend, bis das Feuer geräuschvoll aufflackerte und Rhia erschrocken zusammenzuckte. Es unterbrach den Moment der Verlegenheit. Thomas ging zum Vorratsschrank hinüber und kam mit einem Päckchen zurück, das in braunes Papier gewickelt war. Er reichte es ihr. »Mach es jetzt noch nicht auf. Erst, wenn du unterwegs bist. Ich werde dich nicht großartig verabschieden, weil du ja gesagt hast, dass du wiederkommst. Und du weißt, hier brennt immer ein Feuer.«
»Ich weiß.« Sie nahm Thomas’ Hand und hielt sie, bis er sie ihr entzog und an seinen Webstuhl zurückkehrte. Er hatte den Kopf tiefer über seine Arbeit gebeugt als sonst.
Epona trottete die Landzunge entlang, als hätte sie einen Karren zu ziehen, und als sie sich dem Cottage näherten, schien sie noch langsamer zu werden. Vielleicht wusste sie, dass dies ihr letzter gemeinsamer, morgendlicher Ausritt war. Rhia drehte sich um und blickte noch einmal den Strand entlang, beobachtete die Möwen, die über den roten und gelben und blauen Fischerbooten kreisten. Dann wandte sie sich wieder zurück und sah ihren Vater. Er saß in seinem Korbstuhl und starrte in die Bucht hinaus, wie er es seit Tagen getan hatte, egal, wie das Wetter war. Die Last seines Versagens drückte sich in der gebeugten Haltung seiner Schultern aus.
Bis jetzt hatten sie so getan, als hätte ihre Auseinandersetzung nie stattgefunden. Es war einfacher so. Und als dann die Entscheidung gefallen war, dass Rhia Dublin verlassen würde, hatte sie kaum mehr Zeit gehabt, um darüber nachzugrübeln. Connor war nicht mehr nach St. Stephen’s Green zurückgekehrt, hatte die leeren, hallenden Räume und die Tränen von Tilly und Hannah nicht gesehen. Da er erst letzte Woche aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hatten Rhia und Brigit alles allein abgewickelt. Die
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