Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
Versteigerung des Hauses in Dublin samt Hausrat hatte so viel eingebracht, dass sie die Rechnungen begleichen konnten, aber mehr auch nicht.
Rhia mochte es nicht länger aufschieben. Sie sprang vom Pferd und küsste Epona auf die Nase. Dann gab sie ihr einen verschrumpelten Apfel und einen leichten Klaps auf das Hinterteil. Die Stute fand den Weg zurück in ihren Stall allein, aber sie ging zögernd und ließ wie Thomas den Kopf hängen. Rhia wandte sich hastig um.
Ihr Vater sah mit schief gelegtem Kopf zu ihr auf und versuchte ein Lächeln. »Ich wünschte, du würdest nicht gehen, Rhia.«
»Es ist ja nicht für immer.«
»Allein der Gedanke, dass du dir eine Stellung suchen musst. Und ohne einen Ehemann, der für dich sorgen könnte. Es ist beschämend.«
Rhia widerstand der Versuchung, ihm zu widersprechen. »Es ist groß in Mode, Vater«, antwortete sie, als ginge sie nur eben in die Oper. »In London arbeiten Frauen aus jeder gesellschaftlichen Schicht, habe ich gelesen.«
Er schüttelte den Kopf. »Wer soll dich jetzt noch heiraten?« Es war, als hätte sie nichts gesagt. Er würde sie nie verstehen, einfach weil er es nicht wollte. Die Zwänge der verschiedenen Klassen und die Rollen von Mann und Frau waren durch die Tradition festgelegt und nicht verhandelbar. Es war wie beim Weben. Leinen musste handgewebt sein, Punkt. Sie befanden sich auf dünnem Eis. Rhia bemühte sich, heiter zu klingen. »Die Kutsche wird bald hier sein. Kommst du mit ins Haus?«
»Nein, es riecht dort heute nach deiner Großmutter. Das verdirbt mir die Laune.« Rhia war zu überrascht, um zu antworten. Er wirkte so voller Trauer und Selbstmitleid, dass sie beinahe gelächelt hätte. Er war nicht bereit, seine Weltsicht auch nur ein winziges Stück zu korrigieren.
»Dann verabschiede ich mich jetzt.« Rhia beugte sich vor und küsste ihn auf die Stirn. Er nahm ihre Hand und drückte sie so fest, dass es schmerzte. Als er sie schließlich losließ, wandte er den Blick ab, zurück aufs Meer, so dass keiner die Gefühle des anderen sehen konnte. Vielleicht ließ er sie nur deswegen gehen, weil er nicht die Kraft hatte, sie zurückzuhalten. Rhia verspürte eine Mischung aus Kummer und Hochgefühl. Würde sie in Zukunft tatsächlich selbst für ihr Leben verantwortlich sein?
Sie drehte sich um und wollte zurück zum Cottage gehen.
»Rhia!«, rief er schwach. Sie blieb stehen.
»Für einen Teufel im Unterkleid bist du sehr mutig und gütig.« Seine Augen schienen einen Moment lang fast zu blitzen.
»Es tut mir leid wegen William.«
»Er war sowieso nicht gut genug für dich.«
Rhia eilte zurück und umarmte ihren Vater. Dann rannte sie den Hügel hinauf.
Ihr Koffer stand bereits neben der Haustür. Sie und ihre Mutter hatten ihn allein die Treppen heruntergeschleppt. Seit sie aus Dublin weggezogen waren, hatten sie beide viel mehr Kraft. Brigit saß an einem der drei Spinnräder neben der Feuerstelle. Jetzt, wo Rhia nicht mehr da war, würden zwei Frauen aus dem Dorf zum Spinnen kommen. Ihre Mutter sah auf. »Hier ist frisches Brot.«
Rhia hatte eigentlich erwartet, dass Mamo noch im Haus sein würde, aber sie war nirgends zu sehen. Wahrscheinlich war sie bei den Schafen. »Ich habe schon bei den Kellys gegessen«, sagte sie.
Brigit nickte. »Dann gönnen wir uns einen Krug.«
Normalerweise gab es den sonst nur abends, wenn sie gemeinsam spannen, aber heute war ein besonderer Tag. Rhia holte den Steingutkrug aus der Speisekammer und füllte ihn mit Dunkelbier aus dem Fässchen. Dann stellte sie ihn auf den Vorsprung beim Herd, um ihn zu wärmen.
Mamos Wohnzimmer war viel gemütlicher als alle Räume am St. Stephen’s Green. Die Möbel waren einfacher und die Stoffe älter und weicher. Auf den Tischen lagen Bücher, und der Holzboden war von ausgeblichenen Läufern bedeckt. In der Ecke stand Rhias Staffelei. Der Raum duftete nach Wollfett und Lavendel. Mamo hatte es verwendet, um ihr Haar damit geschmeidig zu machen.
Rhia ging nach oben, um ihre Reisekleidung anzuziehen und noch einen Moment in ihrem alten Kinderzimmer zu verweilen. Es war sehr ordentlich, was ungewöhnlich war. Ohne ihren Malkasten auf dem Tisch und ihre Bücher neben dem Bett wirkte es leer. Über der alten Holztruhe lagen keine Kleider verstreut. Vom Fenster aus konnte man das Meer sehen, aber sie wandte sich ab, ehe sie zu genau darüber nachdenken konnte.
Als sie nach unten kam, saß Mamo an ihrem alten Spinnrad. Sie wusste nicht, ob Brigit bemerkt
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