Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)
sind anscheinend Tausende wert. Mama sagt, ich darf mir etwas für mein Geburtstagsgewand aussuchen.« Plötzlich klatschte Isabella erfreut in die Hände. »Sie müssen zu meiner Geburtstagsfeier kommen!«
»Wann ist denn Ihr Geburtstag?« Rhia versuchte interessiert zu klingen.
»Ach, erst im Februar, aber man muss sich ja auf etwas freuen können.«
Rhia lächelte müde, und Antonia unterdrückte ein Gähnen. Es war doch nun sicher erlaubt, sich allmählich zu verabschieden? Antonia stand auf, und Rhia seufzte erleichtert.
In der Dunkelheit der Kutsche fühlte sich das Schweigen endlich natürlich an. Mr Montgomery hatte sie hinausgeleitet und Rhia gebeten, bald ihre Mappe in der Regent Street vorbeizubringen. Der Gedanke erfüllte sie mit köstlicher Furcht.
Laurence saß neben ihr, und sie konnte sein Unbehagen spüren. Wahrscheinlich war er verärgert, weil sie beim Abendessen so hörbar ihre Meinung vertreten hatte. Er hatte die Tage seit der Beerdigung in seinem Atelier verbracht und schien nicht zu wissen, was er mit ihr reden sollte, auch wenn er beim Frühstück stets fröhlich war. Sein Mittagessen nahm er oben ein und das Dinner im Club.
»Sie wissen eine ganze Menge über den Handel mit China, meine Liebe«, sagte Antonia leise, als könne sie Rhias Gedanken lesen. »Das gefällt mir«, fügte sie hinzu. »Die Kolumne von Laurences Freund Mr Dillon im Globe könnte Sie interessieren. Er schreibt über Handel und Finanzen, müssen Sie wissen, und hat einige … ungewöhnliche Ansichten.«
»Ja, in der Tat«, stimmte Laurence ihr mit einem schiefen Lächeln zu. »Für mich allerdings zu scharfsinnig.«
Sie verfielen wieder in Schweigen.
Als sie an einer Kutschenlampe vorbeikamen, fiel Rhia Antonias Miene auf. Sie sah aus, als müsse sie dringend ins Bett, vielleicht um mit den persönlichen Erinnerungen an ihren Mann allein zu sein. Oft wirkte sie unheimlich beherrscht, doch nun sah sie zerbrechlich und unsicher aus. Auch sie war nur ein Mensch.
19
15. Dezember
Wir haben Neumond zur fernen Stunde, deshalb bin ich in den Salon hinuntergegangen, von wo aus ich ihn sehen kann, um Dir zu schreiben. Das Haus ist ruhig und still, aber manchmal bewegen sich die Schatten, als versuchten sie, meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Was auch immer sie mir zeigen wollen, bleibt immer knapp unerreichbar. Ich sollte diese Dinge eigentlich verstehen, und Du würdest vermutlich sagen, dass ich es könnte, wenn ich es nur wollte. Also will ich vielleicht nicht. Ich weiß nur, dass ich meinen Platz in dieser Welt noch nicht gefunden habe, und doch spüre ich den unterschwelligen Sog einer anderen.
In diesem Zimmer hängt ein Bild, das mich irgendwie beunruhigt. Es ist, als sei ein Geist darin gefangen. Er ist schwarz und winkt mich herbei, als wollte er gefunden werden. Das ergibt für mich keinen Sinn. Vor wenigen Augenblicken habe ich ihn wieder gesehen, also habe ich Deinen Zauber ausprobiert, mit dem man unwillkommene Geister vertreiben kann. Die gälischen Worte machen mir Mühe, also kann ich nur hoffen, dass ich ihn nicht stattdessen zum Bleiben eingeladen habe! Als ich fast fertig war, kam Juliette, das mürrische Dienstmädchen, herein. Keine Ahnung, weshalb sie nachts auf ist, aber ich weiß, dass sie mich gehört haben muss, denn sie hat mich angesehen, als seien mir Hörner gewachsen. Dann hat sie das Weite gesucht. Ich habe sie wohl verängstigt, was jedoch keine Kunst ist.
Ich habe die Tage mit Spazierengehen verbracht. Es gibt ein Labyrinth aus Gassen, die im Westen zur Threadneedle Street und im Osten bis zum Petticoat Lane Market führen, an Tavernen und Kaffeehäusern vorbei. Verschiedene Gassen sind von unterschiedlichen Gerüchen erfüllt: frisch Gebrautes, gebratene Räucherheringe und Hefekuchen, oder der noch zwischen den Mauern hängende Geruch nach starkem Ale und saurem Wein vom Vorabend. Ich bin an den lauten, geschäftigen Werkstätten der Kutschenbauer vorbeigekommen, bei Stellmachern und Sänftenmachern. Gestern blieb ich stehen, um bei der Herstellung von Fächern zuzusehen. Die flinken Bewegungen seiner Hände. Welch filigranes Handwerk, das Befestigen von Seide am Holz. Es wird doch sicherlich niemals eine Maschine geben können, die Fächer produziert?
Auf dem Markt herrscht das übliche Geschrei, mit dem die herausragende Qualität von Backwaren, Blumen, Käse und Bändern angepriesen wird. Eine bucklige Alte in Schwarz sitzt auf einem Hocker an einem wackeligen Tisch und
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