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Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition)

Titel: Am Horizont das rote Land: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kylie Fitzpatrick
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zu Berge. Es war schwer, sein leicht planloses Verhalten nicht zu belächeln, und Rhia sah in ihm gern einen Gleichgesinnten, auch wenn er sich so intensiv mit dem Illusionären beschäftigte. Er war abwechselnd von jungenhaft guter Laune und dann wieder vollkommen abwesend.
    »Wieder ein Spaziergang heute?« Laurence hob eine Augenbraue, und sein Blick wanderte neugierig über ihr indigofarbenes Leinengewand, ehe er sich seiner Manieren besann. Rhia hatte sich extreme Mühe mit ihrem Äußeren gegeben, und auf ihrem Bett türmten sich die Kleider. Sie hatte alles wenigstens einmal anziehen müssen, um sich entscheiden zu können, welches sie am besten zu Montgomerys trug. Sie war ungewöhnlich nervös.
    »Ja. Heute in die Regent Street.«
    »Ah.« Laurence nickte. »Die Drachenhöhle.«
    »Das ist nicht sehr hilfreich, Laurence. Warum sagen Sie das?«
    »Die Läden von Stoffhändlern sind voll mit glänzenden Dingen. Ich wage jedoch zu behaupten, dass es besser zu Ihnen passen würde, für Montgomery zu arbeiten als als Gouvernante. Ich glaube, ich habe noch nie eine Gouvernante in einem rubinroten Mantel gesehen.« Er betrachtete sie einen Moment lang argwöhnisch. »Dillon sagt, es gibt eine walisische Pferdegöttin namens Rhiannon.«
    Glaubte Laurence, sie verkleide sich bloß als Sterbliche? »So ist es«, stimmte sie ihm zu, doch es überraschte sie, dass Mr Dillon Anlass gehabt hatte, das zu erwähnen.
    »Dann sollten Sie nicht mit Ihrem roten Mantel durch London reiten!«
    »Ich würde es niemals wagen, auf einem Pferd durch Cornhill zu reiten. Ein Fuhrwerk oder ein Dampfomnibus könnte mich zu Fall bringen.«
    »Rhia«, erklärte Laurence mit gespieltem Ernst, »ich fürchte, viel eher würden bei Ihrem Anblick das Fuhrwerk und der Omnibus miteinander kollidieren.« Die Türglocke läutete perlend durch den Flur, als Rhia sich gerade nach Mr Dillons Interesse an Göttinnen erkundigen wollte. Beth hastete an ihnen vorbei und grummelte dabei etwas, dass sie doch keine Haushälterin sei.
    Laurence zückte seine Uhr. »Mist! Das ist mein Zehn-Uhr-Termin. Viel Glück, Rhia! Ich hoffe, wir können die Vorzüge, oder Nachteile, Ihres neuen Metiers sehr bald besprechen.«
    Als sie sich der Fleet Street näherte, musste Rhia wieder an Mr Dillon denken. Sie vermutete die Druckerpressen des London Globe irgendwo dort zusammen mit den anderen Zeitungen der Stadt. Wenn die Threadneedle Street die Heimat des Stoffes war, dann war dies die Hochburg des gedruckten Wortes, die Domäne der Journalisten. Sie fragte sich, ob Mr Dillons Treffen mit Ryan und sein Kreuzzug gegen den Freihandel wohl in Verbindung miteinander standen.
    Die Fleet Street mit ihren geschwärzten Gemäuern und wimmelndem Durchgangsverkehr besaß dieselbe Vitalität wie der Bankenbezirk, wenn auch mit dem Schmutz des East Ends. Heute fühlte Rhia sich als ein Teil der emsigen Betriebsamkeit. Alle schienen auf dem Weg zu einer dringenden Verabredung oder besorgt, irgendetwas zu verpassen. Sie hatte jedenfalls heute eine dringende Verabredung, und die Sonne schien, obwohl es Dezember war, und der Fiddle-Spieler vor der Druckerwerkstatt trug einen Teewärmer als Mütze.
    Als sie die Regent Street erreichte, machte sie sich auf einmal Sorgen, ob es vielleicht ein Zeichen mangelnder Etikette war, keine Verabredung getroffen zu haben, obwohl er sie aufgefordert hatte, einfach jederzeit vorbeizuschauen. Dann überlegte sie, ob Mr Montgomery überhaupt Interesse hatte, wenn er keinen Termin mit ihr ausmachen wollte. Letztlich verdrängte sie alle Gedanken an Mr Montgomery und sein Geschäft und konzentrierte sich stattdessen auf die Läden.
    In den Schaufenstern waren alle nur erdenklichen Waren ausgestellt, von farbiger Tinte und Pergament bis zu Knöpfen und Schnallen. Sie hatte den Bestimmungsort für alles erreicht, was die Threadneedle und die Fleet Street produzierten. Und überall tummelten sich Damen . Ihre Hauben waren auf ihre Reifröcke und Pompadours abgestimmt, und sie gingen Arm in Arm oder standen vor den Schaufenstern von Juwelieren und Konditoren, oder sie blickten aus den Fenstern der Cafés. Diese Frauen, die möglichst unauffällig die Kleidung der anderen beäugten, waren das raison d’être des Britischen Empire. Rhia verblüffte es, dass die Engländer so gern französische Ausdrücke verwendeten, wo sie doch die Franzosen nicht sonderlich zu mögen schienen. Sie schlug die Kapuze ihres Mantels hoch, eilte die Straße entlang und

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