Am Horizont die Freiheit
Schänken?«
Joan nickte.
»Ja, und ich will mich als Artillerist in der Flotte Vilamarís anwerben lassen, wenn er nach Barcelona zurückkehrt. Dann werde ich herausfinden, was sie mit unserer Familie gemacht haben.«
»Ich komme mit! Ich will lernen, wie man Kanonen bedient.«
»Wir werden sehen«, antwortete Joan unbestimmt.
Doch er wollte seinen Bruder bei dem gefährlichen Unternehmen nicht dabeihaben. Er hasste einfach nicht genug. Er war ein friedfertiger Junge mit einem guten Charakter, und Joan hatte eine Zeitlang gedacht, er wolle Mönch in Santa Anna werden. Außerdem war Gabriel das Einzige, was ihm von seiner Familie übrig geblieben war, und Joan wollte nicht, dass er sein Leben riskierte für etwas, auf das er nie ausreichend vorbereitet sein würde.
Er schrieb in sein Buch: »Ich will Rache. Und sie ist gefährlich. Ich möchte Gabriel nicht dabeihaben.«
55
K önig Ferdinand, Königin Isabella und Kronprinz Juan zogen im Oktober dieses Jahres mit ihrem Hofstaat in Barcelona ein. Die ganze Stadt widmete sich hingebungsvoll der Aufgabe, die Sieger von Granada willkommen zu heißen, und die Honoratioren der Stadt priesen sie in ihren Reden als die ruhmreichen Gesandten Gottes. Es gab viele Feste und Zeremonien, unter denen ein großer Empfang in der Lonja besonderes Aufsehen erregte.
Der Herrscher hatte die Stadt seit über zehn Jahren nicht besucht, und sie erwachte aus ihrer Lethargie, gewann ihren einstigen Schwung und Glanz zurück. Barcelona wurde zu einer Hauptstadt der europäischen Diplomatie, und neugierig bestaunten die Leute das Kommen und Gehen der ausländischen Botschafter und der Gesandten der Königreiche Isabellas und Ferdinands.
Alle in Meister Elois Werkstatt schlossen sich den Hochrufen und den Festakten an. Überall herrschte eine heitere, gelöste Stimmung. Das Volk hatte das Gefühl, dass von nun an alles besser werden würde. Viele waren davon überzeugt, dass die Könige die Vorkämpfer der Christenheit waren. Sie hatten einen erhabenen Auftrag zu erfüllen, und Barcelona fühlte, daran beteiligt zu sein. Es war nicht mehr wichtig, dass die Könige ein paar Monate zuvor die Vertreibung der Juden angeordnet hatten. Immer mehr Menschen richteten sich nach den Reden der Inquisitoren und der Propaganda des Königs und glaubten an die Einheit des Glaubens. Der Fall des nasridischen Reichs sollte nur der erste Schritt einer Expansion nach Afrika und in den Orient sein. Die Könige würden Jerusalem zurückerobern, und das Heilige Grab müsste wieder der Christenheit gehören.
Es war, als richteten sich die Sterne neu am Firmament aus, um dieser heiligen Mission größeren Glanz zu verleihen. Wenige Wochen zuvor, am 11 . August, war Kardinal Rodrigo Borgia als Alexander VI . zum Papst gewählt worden. Er stammte aus Játiva im Königreich Valencia, und er hatte die päpstliche Würde erreicht, indem er sich den mächtigen römischen Familien entgegenstellte.
In den Schänken, deren Stammgast Joan war, machte sich die Anwesenheit des Hofes ebenfalls bemerkbar. Früher waren sie halbleer gewesen, nun aber mit den buntesten Leuten gefüllt. Man hörte dort Kastilisch, Französisch und Italienisch reden. Joan verstand diese Sprachen und sprach sie fließend.
Doch der Mann, der Joan auffiel, war ein Fremder, der Anfang Dezember auftauchte. Er war ein sehniger und dürrer katalanischer Bauer von etwa sechzig Jahren. Er setzte sich mit seinem Weinkrug an einen Tisch und erzählte mit seinem ländlichen Akzent jedem, der ihm zuhören wollte, alte Geschichten. Wenige wollten sich mit ihm abgeben, doch als er sagte, er sei ein
remensa
, weckte er Joans Interesse. Der Junge fühlte sich seit langem mit den
remensas
verbunden, und dies war der Erste, den er kennenlernte.
»Aber es gibt ja gar keine
remensas
mehr«, wandte der Junge ein. »Vor sechs Jahren hat unser König Ferdinand den Urteilsspruch von Guadalupe unterzeichnet. Damit wurden die schlechten Gebräuche abgeschafft, und ihr
remensa
s habt eure Freiheit gewonnen.«
»Mein guter König Ferdinand!«, sagte der Alte und hob sein Weinglas. »Trinken wir auf sein Wohl und darauf, dass ihm unser Herrgott ein langes Leben gibt.«
Joan hob sein Glas. Sie prosteten einander zu und tranken.
»Und was wollt Ihr in Barcelona tun?«
»Ich komme, um eine Schuld von sechzig Sueldos einzutreiben.«
»Nun ja, ich hoffe, dass Euer Schuldner genug hat, um Euch zu bezahlen«, sagte Joan.
Der Mann lachte.
»Natürlich hat er sechzig
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