Am Horizont die Freiheit
hörte den Knall eines Schusses, der aus seinen Erinnerungen hervorblitzte, und er sah dieses Gesicht vor sich, während sein Vater zu Boden stürzte. Und dann sah er, wie dieser Mann seine Mutter an den Haaren zog, sie erbarmungslos mit Füßen trat. Seine Angst wandelte sich zu Hass, kalter Wut und Zorn. ›Rache!‹, rief ihm eine innere Stimme zu. ›Rache!‹
Blitzschnell, ohne dem anderen Zeit zum Zurückweichen zu lassen, streckte er den Dolch vor und stieß ihn dem anderen in den Bauch. Überrascht riss der Mann sein Auge noch weiter auf und ließ ein Stöhnen hören. Sofort zog Joan die Klinge aus dem Körper des anderen, um sie danach voller Wut etwas links von der Brustmitte wieder hineinzustoßen. Mitten ins Herz. Er zog den Dolch heraus und stieß ergrimmt abermals zu. Mit einem sonderbaren Seufzer brach der Seemann zusammen. Während er zu Boden stürzte, stach der Junge noch einmal zu.
Joan wusste, was er nun tun musste.
»Mörder!«, rief er wieder und bedrohte mit seinem blutigen Dolch die Seeleute und die Spieler, die der Szene neugierig zusahen. Überrascht wichen sie einen Schritt zurück. Er durfte nicht zulassen, dass sie ihn festhielten. Er täuschte einen Angriff vor, während er sich umdrehte und rückwärts zur Tür ging. Keiner sonst zog eine Waffe. Die Männer wichen zurück und ließen ihn ungehindert gehen. Er rannte in der Dunkelheit davon.
60
W ährend Joan durch die dunklen Straßen lief, wurde er sich allmählich der Katastrophe bewusst. Er hatte nicht nur den Mann getötet, der ihm den Aufenthaltsort seiner Familie nennen konnte, sondern er hatte sich auch gerade um die Gelegenheit gebracht, mit der Flotte zu fahren und Anna zu finden. Er hatte alles verdorben. Außerdem würden ihm die Leute Vilamarís diesen Mord nicht verzeihen, selbst wenn er den Kampf nicht begonnen hatte. Zum Glück hatte er die Überraschung genutzt und war vor den Seeleuten geflohen. Sie hätten sich unverzüglich gerächt, und wenn sie ihn in der Schänke am Leben gelassen hätten, würde er am nächsten Tag an einem Galeerenmast baumeln, als Warnung an die Zivilbevölkerung, dass die Seeleute der Flotte unangreifbar waren.
Als er in die Schmiede kam, weckte er Meister Eloi und erzählte ihm, was geschehen war. Dieser machte ein besorgtes Gesicht.
»Das ist sehr ernst, Joan«, sagte er. »Es kommt nicht darauf an, dass er dich zuerst angegriffen hat und dass du dich nur verteidigt hast. Der Admiral wird deinen Kopf verlangen. Er wird nicht zulassen, dass man sagt, ein Handwerker habe einen seiner Männer getötet und sei der Hinrichtung entkommen. Es spielt keine Rolle, dass der Tote ein schlechter Mensch war und dass er dich beinahe umgebracht hätte. Er wird eine abschreckende Strafe auferlegen wollen, damit wir, die Stadtbürger, die Warnung beherzigen.«
»Das weiß ich, Meister«, antwortete Joan niedergeschlagen. »Darum bin ich weggerannt.«
»Hier bist du nicht sicher«, erklärte der Mann weiter. »Sie kennen dich in den Schänken, und bevor es Tag wird, schicken sie einen Trupp, um dich gefangen zu nehmen und auf die Galeere Vilamarís zu bringen. Dort werden sie dich verurteilen und hängen.«
Joan nickte.
»Auf welches Recht können sie sich berufen, um das zu tun?«, fragte der Junge.
»Auf das Recht des Stärkeren«, antwortete der Meister. »Aber wir, die freien Bürger Barcelonas, haben auch unsere Rechte. Und unsere Stärke. Wir müssen einen Ort suchen, wo du dich heute Nacht verstecken kannst.«
»Das Santa-Anna-Kloster ist verschlossen und wird erst beim Prim-Läuten öffnen, wenn die Sonne aufgeht. Mir bleibt nur …«
»Sag mir nicht, wohin du gehst«, unterbrach ihn der Meister. »Mir genügt, wenn es dein Bruder weiß.«
Joan weckte Gabriel und erzählte ihm betrübt, was geschehen war. Ja, er hatte ihren Vater gerächt, aber damit die Gelegenheit eingebüßt, den Aufenthaltsort ihrer Familie in Italien zu erfahren.
»Ich wollte ihn umbringen«, gestand er unter Tränen. »Aber nicht in diesem Augenblick. Es war nur so, dass mich Angst und Wut überwältigt haben, als mich dieser Kerl angriff. Ich habe ihn sogar viermal mit meinem Dolch getroffen. Ein Stich hätte genügt, danach hätte ich aufhören müssen. Aber ich konnte nicht, und der zweite Stich hat ihn getötet.«
»Gib nicht dir die Schuld. Du hast dein Leben verteidigt«, entgegnete sein Bruder. »Jetzt musst du dich verstecken. Mach dir keine Sorgen wegen Italien. Ich lasse mich an deiner Stelle
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