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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jorge Molist
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und trank. Unter dem Vorwand, als Schiffsjunge auf seiner Galeere anheuern zu wollen, setzte sich Joan zu ihm und brachte ihn zum Reden. Der Mann erzählte ihm, wo sich der Sklavenmarkt befand, auf dem sie seine Mutter und seine Schwester verkauft hatten, und gab ihm alle Auskünfte, die er brauchte, um sie zu finden. Danach würde er entscheiden, ob er ihn tötete oder nicht. Wenn er sich vorstellte, dass er sich endgültig rächte, geschah es in einer dunklen Gasse. Joan schnitt dem Einäugigen den Hals durch, um dann ungesehen zu entkommen.
    Doch alles sollte ganz anders kommen.
    Joan war schon zweiundzwanzig Jahre alt. Seit dem Überfall auf sein Dorf waren zehn Jahre vergangen, doch die schrecklichen Erinnerungen waren noch frisch wie am ersten Tag. Sie waren in sein Gedächtnis eingebrannt, wie auch das hagere Gesicht des Mannes und das vernarbte Loch, wo sich eigentlich das linke Auge befinden müsste.
    Als Joan ihn sah, spürte er, wie sein Herz schneller schlug. Der Mann saß mit den Würfelspielern in einer Ecke der Schänke. Er trug immer noch keine Augenklappe, die die widerwärtige Narbe in seinem Gesicht bedeckt hätte. Der Junge erkannte die üblichen Spieler – sie verdienten ihr Geld mit Betrügen – und vermutete, dass die anderen Seeleute aus Vilamarís Flotte waren. Zunächst sah es so aus, als würde der Einäugige eine größere Summe gewinnen, und auf sein Gesicht trat ein triumphierendes Lächeln, an das sich Joan noch wütend erinnerte. Der Junge hatte bei vielen Würfelpartien in den Schänken zugesehen, und er sagte sich, dass die Glückssträhne dieses Seemanns bald enden würde.
    Und so kam es. Unter Verwünschungen verlor der Mann allmählich das gesamte Gewonnene und wühlte nun in seinem Geldbeutel, der immer leichter wurde. Mit einem Fluchen setzte er eine Handvoll Münzen ein: »Alles oder nichts«, sagte er.
    Joan sah die Blicke, die die Falschspieler miteinander tauschten, und ihm war klar, dass der andere sein Geld verlieren würde. Er machte sich Sorgen, weil der Seemann am Ende schlechte Laune haben würde. Dabei wollte er ihn ja zum Reden bringen. Doch keiner der Stammgäste, die die Berufsspieler kannten, wagte es, ihnen ein gutes Geschäft zu verderben. Darum beobachtete er schweigend, wie sie ihr Opfer ausplünderten.
    Die Gefährten des Einäugigen, die vorsichtiger spielten, setzten die Würfelpartie fort. Doch der Mann, dem ein Auge fehlte, fluchte leise, nahm einen Weinkrug und ein Glas von der Theke und setzte sich an einen entfernten Tisch.
    Joan wartete ab. Er wusste, dass es kein guter Zeitpunkt war, um ihn anzusprechen, doch er hatte zu lange auf diese Gelegenheit gewartet, und er fürchtete, dass sie sich nicht wiederholen würde. Er nahm seinen Weinkrug und sein Glas und setzte sich an den Tisch des Mannes: »Gott schütze Euch.«
    Der Seemann starrte ihn an und gab ein Grunzen von sich. Der Blick seines einzigen Auges bohrte sich in Joans Augen und ließ ihn erschaudern: Einen Moment lang empfand er die gleiche Angst wie zehn Jahre zuvor, als dieser Kerl zusammen mit anderen seinen Vater und die Dorfleute aus dem Hinterhalt überfallen hatte. Danach meldeten sich Wut und Hass. Joan war kein Kind mehr wie damals, und mit seiner Größe und Statur war er diesem übel aussehenden Kerl bei weitem überlegen. So schlecht gelaunt er auch sein mochte, sein Groll konnte nicht größer als der Joans sein. Doch der Junge suchte keinen Streit und wollte seinen Blick mit einem Lächeln besänftigen.
    »Ihr seid ein Seemann aus der Flotte Vilamarís, nicht wahr?«, erkundigte sich Joan. Der Mann starrte ihn herausfordernd an.
    »Ich bin Aufseher. Na und?«
    »In den Schänken erzählt man sich viele Heldentaten von Euch.«
    Der Einäugige antwortete mit einem Grunzen und trank sein Glas in einem Zug leer. Dann goss er es sich wieder voll.
    »Zum Beispiel, als Ihr im Sold der Medici von Florenz mit achtzehn Galeeren sogar Genua angegriffen habt.« Joan wollte den Seemann aufmuntern. »Oder als Ihr das Königreich Neapel gegen Venezianer und Franzosen verteidigt und dann bei Malta, Gozo und Sizilien gegen die Türken gekämpft habt. Oder als Ihr früher Damiette im Nildelta angegriffen und fünfzehn feindliche Schiffe versenkt habt. Danach habt Ihr das Kastell der Mamelucken eingenommen und den Seehandel Ägyptens blockiert …«
    »Das ist ein Scheißleben«, unterbrach ihn der Mann.
    »Ja, aber es heißt auch, dass Ihr gute Beute herausholt und dass der Admiral bei der

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