Am Horizont die Freiheit
gehört.«
»Dann begrabt ihn im Boden der Einsiedelei, ohne dass es Bruder Dionís erfährt.«
Der Eremit lief grübelnd zwischen den Pinien umher, die den Berggipfel umgaben und die nur der Turm überragte, an dessen Fuß die Kapelle stand. Joan folgte ihm schweigend. Er hörte, dass er etwas murmelte. Die Einsamkeit hatte ihn wohl daran gewöhnt, laut zu denken. Es war ein herrlicher Nachmittag, und vom Gipfel aus erblickte man das unermessliche blaue Meer und ein paar sonnenbeschienene, mit Bäumen bewachsene Felsen. Darüber schwebten die Möwen. Sie riefen Joan bessere Zeiten mit seinem Vater ins Gedächtnis, und er verspürte eine bittere Unruhe.
»Bitte«, bestürmte er den Eremiten schluchzend und zog ihn am Ärmel seiner verschlissenen Kutte. »Er war wie mein Vater. Gott hat ihm gewiss verziehen. Es kann keine Sünde sein, so sehr zu lieben.«
»Hör endlich auf mit dem Weinen!«, explodierte der Mann. »Mir kommen schon selbst die Tränen!«
»Bitte!«
»Das verstößt gegen alle Sitten und gegen alle Regeln! Bruder Dionís wird mich hier wegjagen, wenn er es erfährt!«
»Er muss es ja nicht erfahren. Bitte!«, flehte Joan.
»Einverstanden!«, stimmte der Eremit nach einer Weile ärgerlich zu. »Wenn ich hier allein lebe, so schließlich deshalb, weil ich mich nicht an absurde Regeln halten will!«
Zusammen mit drei anderen Mitgliedern der Mannschaft der
Möwe
brachte Daniel den Leichnam nach oben auf den Berg. Tomás wog nur noch wenig, und er war sehr leicht zu tragen. Alles geschah derart heimlich, wie etwas in einem kleinen Dorf heimlich geschehen konnte. Aber alle hatten Tomás gemocht, und niemand würde den Eremiten verraten. In einem Winkel unter einem Steinhaufen fand er seine letzte Ruhe, die man ihm hatte verweigern wollen, und der Eremit trug dieselben Gebete wie für Ramón vor. An diesem Tag gab es kein Totengeläut. Man wollte nicht auffallen. Erst am nächsten Tag ließ die Einsiedelei ihre Glocke lange Zeit feierlich, langsam und traurig läuten. Unten am Meer beteten die Dorfbewohner unter Tränen um einen weiteren der Ihren.
»Dieses Schicksal erwartet den Unseligen, der nicht die Kirche und ihre Diener achtet!«, donnerte Bruder Dionís von der Kanzel herab. »Selbstmord ist eine der abscheulichsten Sünden. Die Seele dieses Mannes brennt in der Hölle, und sein Körper wird ohne Grab verfaulen.«
Die Dorfleute, die mit denen aus Palafrugell zusammensaßen, wechselten heimliche Blicke mit ihren Nachbarn. Sie genossen die Ahnungslosigkeit des Administrators. Joan allerdings fand nichts, was ihn bei diesem Mann hätte belustigen können, und er ballte wütend die Fäuste. Tomás hatte ihm beigebracht, diesen Feigling zu hassen, der schuld daran war, dass man seine geliebte Familie versklavt hatte. Nun war er auch schuld am Tod seines Freundes.
»Lernt es, den Willen des Herrn zu achten, indem ihr ergeben die Prüfungen annehmt, denen Er euch unterwirft. Eure Sünden sind schuld an den Heimsuchungen, die sie nach sich ziehen! Seht, wie es Tomás ergangen ist und wie er durch seine Missachtung der Kirche die Strafe Gottes auf sich gezogen hat.«
Joan konnte sich nicht zurückhalten. Er lief zur Kanzel vor und schrie dieselben Beschuldigungen, die Tomás früher einmal geäußert hatte: »Dieses Unglück ist nicht durch unsere Sünden gekommen! Schuld daran sind die Sarazenen, und schuld seid Ihr, weil Ihr uns nicht verteidigt habt!« Drohend wies er mit dem Zeigefinger auf ihn. Er war wütend. »Mit Eurer Feigheit habt Ihr es verhindert, die Gefangenen zu retten!«
Der Mönch reagierte nicht gleich. Er hatte nicht erwartet, dass ihm ein Kind die Stirn bieten würde. Es trat eine vollständige Stille ein. Keiner wollte ein Wort verpassen. Nur Daniel rührte sich. Er trat neben Joan, fasste ihn am Arm und bat ihn zu schweigen. Doch mit der Kraft, die die Wut verleiht, riss sich der Kleine los.
»Tomás war ein guter Mensch, und er hat die Wahrheit gesagt! Gott hat damit nichts zu tun! Das ist eine Lüge!«
Die Soldaten stürzten sich auf den Jungen und schleppten ihn blitzschnell aus der Kirche.
»Er lügt!« Während sie ihn fortschleppten, konnte er noch die Worte hinausschreien, die er tausendmal von seinem Freund gehört hatte. »Er benutzt Gott, um uns zu unterjochen!«
Bruder Dionís predigte laut weiter, indem er ausrief: »Seht ihr, wie der faule Apfel den gesunden verdirbt? Jetzt leidet dieses Kind an demselben Übel wie der unselige
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