Am Horizont die Freiheit
Selbstmörder.«
»Sollen wir ihn verprügeln?«, fragte ein Soldat den diensthabenden Offizier.
»Nein. Überlass ihn ruhig mir.« Der Mann packte Joan am Arm, zog ihn von den Übrigen fort und schrie ihn dann an: »Wenn du versuchst, wieder in die Kirche zu kommen, schlage ich dir den Schädel ein. Du bist genauso störrisch, wie es dieser Idiot Tomás gewesen ist!« Der Offizier zerrte ihn weiter, dann zeigte er mit dem Finger auf die Kirchentür. »Sieh genau hin!«, sagte er.
Der Junge blickte in die angegebene Richtung, weil er dachte, dass jemand herauskäme, und eine kräftige Ohrfeige schleuderte ihn auf die Erde. Der Offizier hob ihn hoch, und als sich Joan zusammenkrümmte, weil er auf den nächsten Schlag wartete, sagte ihm der Offizier leise, ohne dass ihn die Übrigen hörten: »Aber du bist klug und tapfer wie dein Vater. Und, verdammt, du hast recht! Du hast ganz und gar recht. Nur sei vorsichtig. Ich wünsche dir Glück, Junge. Du hast es verdient.«
Joan hatte den Geschmack seines eigenen Blutes im Mund.
9
K urz nach dem Ende des Gottesdienstes an diesem Sonntag entschied der Administrator über Joans Schicksal. Die Soldaten brachten den Jungen zu ihm, und der Ärger des Geistlichen schien nachzulassen, als er die geschwollene und blutige Lippe des Kleinen sah.
»Ich kann dich und deinen Bruder nicht im Dorf lassen«, sagte er. »In diesem Winter kommt eine Hungerzeit auf uns zu, und ihr habt keine Familie mehr. Außerdem müsst ihr in Ehrfurcht vor der Kirche und der Autorität erzogen werden. Wenn du ein paar Jahre älter wärest, würde ich dir eine unvergessliche Lektion erteilen: Du bist ein fauler Apfel. Wenn du dich nicht änderst, wird deine Seele in der Hölle schmoren, und ich will nicht, dass du deine Nachbarn ansteckst, die gute Vasallen sind.«
»Sie sind keine Vasallen, sie sind frei wie die Möwen«, entgegnete der Junge.
»Die Fischer sind Vasallen des Abtes des Santa-Anna-Klosters in Barcelona.«
»Natürlich sind sie frei. Wenn der Abt irgendein Recht hatte, so hat er es in dem Moment verwirkt, als Ihr uns nicht gegen die Piraten unterstützt habt, wie es Eure Pflicht gewesen wäre.«
Der Offizier gab Joan einen Schlag in den Nacken, der ihm einen Augenblick lang den Atem nahm.
»Halt den Mund!«, wies dieser ihn zurecht. »Und hör zu, du Dummkopf.«
Joan war davon überzeugt, dass der Geistliche log. Doch dann sagte er sich, dass ihm der Offizier die Lippe aufgeschlagen hatte, um ihm Schlimmeres zu ersparen, und dass er wohl recht hatte: Für ihn war es ratsam, den Mund zu halten.
»Du bist ja überhaupt nicht zur Vernunft zu kriegen!«, fuhr der Administrator ihn an. »Ich werde meine Zeit nicht vergeuden und mich mit einer kleinen Rotznase herumstreiten, die wie ein alter Ketzer redet. Und ich werde auch nicht warten. Ein vertrauenswürdiger Kaufmann will bald nach Barcelona aufbrechen, und ich werde ihn dafür bezahlen, dass er euch mitnimmt. Dann bin ich nicht mehr für dich verantwortlich, sondern der Abt des Santa-Anna-Klosters.«
»Barcelona!«, rief Joan überrascht. Er hatte so viel über die große Stadt gehört! Der Name klang verheißungsvoll in seinen Ohren, und er beschloss, sich dem Administrator nicht mehr zu widersetzen.
Ihre Siebensachen waren schnell gepackt. Sie besaßen fast nichts. In einem großen Tuch verwahrten sie jeweils einen Holzlöffel, den Napf aus gebranntem Ton, den sie zum Trinken und Essen benutzen wollten, und die wenigen Kleidungsstücke, die sie mitnahmen: ein paar Hemden, einen Kittel und zwei Tücher, die Erinnerungen an ihre Mutter waren. Sobald Joan die vier Enden seines Tuches zusammengeknotet hatte, band er es an die Spitze der Azcona seines Vaters. Er trug das Bündel, indem er den Schaft über die Schulter legte. Gabriel wollte die Harpune von Tomás benutzen, um sein Bündel zu tragen. Bevor Joan hinausging, grub er die kleinen, kostbaren Zweige der roten Korallen aus und versteckte sie in den Falten seines Tuches.
Die Nachbarn verabschiedeten sich von ihnen mit Umarmungen und gaben ihnen noch etwas Brot, ein paar Eicheln, Weintrauben und Kastanien für die Reise mit. Es war wenig, doch sie hatten nicht mehr.
»Nehmt euch in Acht«, sagte weinend Clara, die Frau Daniels, und umarmte sie noch einmal. »Wie wird es euch nur ergehen?«
»Wenn wir groß sind, werden wir Soldaten und ziehen ins Reich der Sarazenen, um unsere Familien zu befreien«, erklärte Joan nachdrücklich. »Nicht wahr,
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