Am Horizont die Freiheit
unbehaglich. Was hatte Antonello vor? Wollte er ihn mit dieser Schönheit blenden, damit er Anna vergaß? Das würde ihm keinen einzigen Augenblick gelingen. Nicht einmal, wenn er ihm die leibhaftige Göttin Venus vorstellte, würde er seine Gedanken von Anna abbringen können.
Ein Lehrling holte eine Gitarre hervor, und Antonello sang selbst als Erster. Dann stimmten andere ein, und man begann zu tanzen. Es war ein großer Festtag. Joan wechselte ein paar Sätze mit der schönen Neapolitanerin, doch seine Gedanken waren anderswo. Nach einer Weile widmete ihm Francesca einen lächelnden Abschiedsblick, als ein Kavallerieoffizier erschien und sie aufforderte.
»Was wisst Ihr von Anna?«, drängte er, als er endlich Antonello zur Seite nehmen konnte.
»Die
Signora
Lucca ist gesund, wohlbehalten und befindet sich in ihrem Haus«, antwortete er. »Und ihr Ehemann hat Neapel zusammen mit den französischen Truppen verlassen, die im Süden kämpfen.«
»Aber weil Riccardo Lucca ein Anhänger der Anjous ist, ist sie gewiss in Gefahr.« Joan machte sich weiter Sorgen. »Wird man nicht ihr Haus überfallen, wie man es mit anderen getan hat?«
»Vielleicht wird es angegriffen«, antwortete der Buchhändler ruhig. »Allerdings gibt es reichere Häuser auf der Liste, und diese Leute haben zu viel Arbeit. Aber wenn König Ferrandino die Ordnung auf den Straßen nicht durchsetzen will oder kann, wird auch das Haus Lucca früher oder später geplündert werden.«
Joan musste zwei endlose Tage warten, bevor er Anna zu sehen bekam. Antonello schickte ihr eine Nachricht, er habe ein Buch, das sie interessiere, und schließlich erschien sie mit ihrer Haushälterin in der Buchhandlung. Joan versteckte sich eilig, und das Herz schlug ihm bis zum Hals. Sobald sich Antonellos Frau um die Haushälterin kümmerte, fielen sich die jungen Leute glücklich lächelnd in die Arme und begaben sich ins abgesonderte Arbeitszimmer des Buchhändlers.
»Wie sehr habe ich mich nach Euch gesehnt, Anna!«
»Ich mich auch«, antwortete sie. »Ich habe so sehr für Euch gebetet!«
»Geht nicht wieder nach Hause. Flieht mit mir!«, sagte Joan und blickte ihr in die Augen.
Es war ein plötzlicher Impuls. Er bereute ihn sofort. Was für ein Leben konnte er Anna bieten? Das Leben eines Flüchtlings, das eines Galeerensklaven, der sich davongemacht hatte, nachdem er einem Edelmann die Frau geraubt hatte. Denn es kam nicht darauf an, dass sich Lucca gegen seinen König aufgelehnt hatte. Lucca blieb ein Edelmann, und er selbst war weniger als ein Nichts. Er wusste, dass sie sich weigern würde. Und so geschah es, wenn sie auch dafür andere Argumente anführte. »Es gibt nichts, was ich mehr wünsche«, sagte sie. »Aber Ihr wisst genau, dass das Wohlergehen meiner Familie von meiner Ehe abhängt, und ich werde nicht zulassen, dass sie für die Folgen meines Wahnsinns büßt.«
Er nahm sie wieder in die Arme. Es tröstete ihn, zu wissen, dass sie ihn noch liebte, und zugleich war er traurig über diese unüberwindlichen Barrieren. Nun schob sie ihn zurück, um ihm in die Augen zu blicken: »Joan, dies wird unsere letzte Begegnung sein.«
»Warum?«, fragte er bestürzt.
»Ich darf diese heimliche Beziehung nicht fortsetzen«, entgegnete Anna mit trauriger Miene. »Wenn man sie entdeckt, wäre es verderblich für meine Angehörigen. Außerdem, selbst wenn ich Riccardo nicht liebe, er ist ein guter Mensch, der keinen Betrug verdient hat. Es ist nicht anständig, dass wir uns sehen.«
»Anständig!«, rief Joan und erinnerte sich an die Worte Antonellos. »Nicht anständig ist, dass Ihr mit einem Mann verheiratet seid, den Ihr nicht liebt! Anständig zu sein bedeutet, bei dem zu sein, den man liebt.«
Anna schüttelte den Kopf. »So sieht es die Gesellschaft nicht«, sagte sie.
»Ich flehe Euch an!«, rief Joan mit Tränen in den Augen. »Lasst mich nicht allein!«
»Ich kann nichts anderes tun«, entgegnete sie schluchzend.
»Nun, wenn wir Abschied voneinander nehmen müssen, so erlaubt, dass ich Euch heute Nacht in Eurem Haus besuche!«, bat er inständig. »Euer Gatte ist nicht da.«
Sie lehnte ab. Sie stritten ein paar Minuten miteinander, und schließlich sagte Joan: »Unsere Liebe darf nicht so enden, Anna. Wir dürfen uns nicht im Streit trennen. Ich dränge nicht weiter. Aber die Nacht verbringe ich heute unter dieser Jalousie vor Eurem Haus, und auch die nächste, bis Ihr das Seil hinabwerft.«
»Ich glaube nicht, dass ich es tue,
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