Am Horizont die Freiheit
brachten Hochrufe auf den König aus.
Auf dem Paradeplatz des Kastells versammelten sich die Mitglieder der Königsfamilie, die auf dem Schiff mitgefahren waren, die Kapitäne und die Ferrandino treuen Edelleute. Auch Admiral Vilamarí und einige Offiziere seiner Flotte waren dabei, unter ihnen Joan. Er hatte sich heimlich dazugesellt, um das Ereignis nicht zu verpassen.
Giusto di Candida kniete vor dem König und bat ihn um Verzeihung. Die Übrigen bildeten einen Kreis um sie.
»Ihr habt also vereinbart, die Insel den Franzosen zu übergeben, nicht wahr?«, fragte Ferrandino.
»Ja, gnädiger Herr, und ich habe mich geirrt«, murmelte der Burgvogt. »Ich bitte Euch um Gnade.«
»Aber unsere Flotte ist früher gekommen«, sagte der König nachdenklich, als spräche er mit sich selbst.
Ferrandino, ein stattlicher junger Mann mit melancholischen Augen, war nur zwei Jahre älter als Joan. Das neapolitanische Volk liebte ihn, und als sein Vater abdankte, bejubelten ihn die Leute, wenn er auf seinem Fuchs durch die Straßen ritt. Der alte König hatte recht, als er dachte, dass sein Sohn den Widerstand zusammenschließen könnte. Doch er war sehr jung, und obwohl er Sympathien weckte, hielten ihn nur sehr wenige für fähig, das französische Heer aufzuhalten.
Ferrandino legte langsam die linke Hand auf den Kopf des Burgvogts, der weiter leise um Erbarmen flehte. Es sah so aus, als wollte er ihn segnen, doch plötzlich riss er ihn am Haar nach oben, während er seinen Dolch zog und mit einem kräftigen Stoß tief in den Hals stach. Der Mann begann zu bluten und fuhr sich mit den Händen an die Wunde, während er unter Krämpfen zu Boden stürzte, in die Pfütze, die sein eigenes Blut bildete. Nach wenigen Augenblicken blieb er reglos liegen.
Joan sah Vilamarí an und bemerkte, wie dieser und Innico d’Avalos eine zustimmende Geste austauschten. Der Dolchstoß hatte die Halsader sauber durchgeschnitten, und den beiden alten Kriegern gefiel die grausame Machtgeste Ferrandinos.
Der König befahl, die Leiche ins Meer zu werfen, und auf einmal schien sein Gefolge erleichtert zu sein, dem jungen Monarchen mehr zu vertrauen. Joan dachte bei sich, dass alle etwas Derartiges vom König erwartet hatten, so erbarmungslos es scheinen mochte.
Ferrandino ernannte Innico d’Avalos zum Statthalter der Insel Ischia, die wegen ihrer Nähe zu Neapel eine strategisch wertvolle Enklave war. Am nächsten Tag zog Karl VIII . von Frankreich in die Stadt Neapel ein, und die Bevölkerung empfing ihn mit Hochrufen.
Trotzdem verlor der junge Monarch nicht den Mut. An Bord der
Santa Eulalia
und an der Spitze einer Flotte von vierzehn Galeeren, die Vilamarí befehligte, näherte er sich Neapel, um vom Meer aus die Verteidiger des Castel Nuovo und des Castel dell’Ovo zu unterstützen, die von der französischen Artillerie ständig beschossen wurden. Die Franzosen hatten noch keine Flotte, die groß genug gewesen wäre, um sich der Vilamarís entgegenzustellen. Die Flottille kreuzte nun vor der ganzen Küste südlich von Neapel. Der König besprach sich mit den Kommandanten der Inselfestungen, die ihm noch treu geblieben waren, und forderte sie auf, weiter Widerstand zu leisten.
Als sich das Leben auf der Galeere etwas normalisiert hatte, fand Joan die Zeit, um sich zurückzuziehen und in seinem Buch zu schreiben. Antonellos Worte hallten in seinen Ohren nach, und ständig musste er an sie denken.
»Eine ehrbare Frau ist die, die sich dem Mann hingibt, den sie liebt«, schrieb er. Und dann: »Ist es etwa nicht ehrbar, seine Familie zu beschützen? Sich für die Eltern, den Bruder zu opfern?«
Der Satz des Buchhändlers gefiel ihm zwar, aber dass sich Anna gegenüber Riccardo Lucca willfährig verhielt, ohne ihn zu lieben, machte sie auch nicht zu einer unanständigen Frau. Er fand, dass Antonello ungerecht war. Seine Überlegung führte ihn zu einer absurden Schlussfolgerung, doch er schrieb sie trotzdem auf: »Müsste sich Anna dann uns beiden hingeben, um ehrbar zu sein? Sie würde zugleich unserer Liebe und der Liebe zu ihren Eltern treu bleiben.« Joan schüttelte wütend den Kopf. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sich Anna ihrem Ehemann hingab. Seine sorgfältige Kalligraphie zeigte einige dunklere, breitere Striche, als er schrieb: »Einer von beiden ist zu viel, und das ist er!« Er schloss die Augen und hatte die anmaßende Miene Riccardo Luccas vor sich. Danach sah er die Szene, wie der Verräter
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