Am Horizont die Freiheit
blaugekleideten Jungfrau Maria die frohe Botschaft mitteilte. Auf der anderen Seite standen Reihen von eleganten und harmonischen Buchstaben, und sie enthielten verborgene Botschaften, die für Joan unverständlich waren. Also dies war die Ware, mit der Bartomeu handelte, sagte er sich. Noch nie zuvor hatte er etwas so Schönes gesehen. Und er beschloss, lesen zu lernen.
»Vorwärts! Lasst euch nicht aufhalten«, trieb sie der Kaufmann an.
Am Ende des Wegs kamen sie zu einem Platz, doch die Träger liefen rechts auf der Calle de la Diputación – der »Straße der Landstände« – weiter, die an den Palacio de la Diputación – den »Palast der Landstände« – grenzte. Joan wollte vor der Tür stehen bleiben, über der inmitten von Türmchen, Traufröhren und steinernem Zierrat ein großes Medaillon mit dem Bild des den Drachen tötenden heiligen Georg ins Auge fiel. Einer der Soldaten, die den Eingang bewachten, sah den anderen an und machte eine Kopfbewegung zu den Brüdern hin. Danach lächelten beide, weil die Kleinen eine so staunende Miene zeigten, wie sie für neuangekommene Dörfler bezeichnend war. Joan hätte nie gedacht, dass man etwas Derartiges aus Stein machen konnte. Es war wunderschön und ließ sich überhaupt nicht mit den armseligen Figürchen vergleichen, die er aus Holz geschnitzt hatte.
»Nicht wahr, das ist hübsch?«, fragte Gabriel. Joan nickte zustimmend.
»Weiter!«, sagte Bartomeu, doch Joan gehorchte ihm nicht. Er staunte hingerissen. »Vorwärts, sonst verlieren wir die Träger aus den Augen!«, drängte der Kaufmann. Er zog ihn und Gabriel fort, der Joans Hand fest umklammerte. »Ihr könnt an einem anderen Tag herkommen und es euch ansehen.«
Sie liefen eilig auf derselben Straße weiter. Rechts lag die Kathedrale, und Joan konnte nur von weitem, durch eine Tür, einen schönen Kreuzgang wahrnehmen.
»Hier hat man bei den großen Festen sogar Turniere abgehalten, und überall stehen Adelspaläste«, erklärte Bartomeu, als sie zur Plaza de Santa Anna kamen. »Gib acht, an der Ecke da ist das Herrenhaus der Castellvells und ein Stück weiter das der Besoras.«
Als sie zum Montsió-Kloster kamen, sagte ihnen der Kaufmann, dass dort Dominikanernonnen lebten. Früher habe es jedoch Augustiner-Bettelmönchen gehört, die die Leute wegen ihrer groben Kutten »Sack-Mönche« nannten. Sie besaßen nur eine Kutte und durften sie nicht einmal waschen und flicken, bis sie in Fetzen von ihnen abfiel.
»Wisst ihr, wie die Straße dahinter heißt?«, fragte er lachend.
Die Kleinen zuckten die Achseln.
»Espolsasacs! ›Säckeausschüttler‹. Denn jeden Morgen, wenn die Mönche aufgestanden sind, haben sie durch die hinteren Klosterfenster den Staub aus ihren Säcken geschüttelt, bevor sie sie anzogen.«
Er zwinkerte den Kleinen mit einem Auge zu, und sie antworteten darauf mit Gelächter, weil sie sich die splitternackten Mönche vorstellten, wie sie an den Fenstern standen und ihre Säcke ausschüttelten.
Das ganze Gebiet war ein einziger Morast, und man merkte, dass es schon seit Tagen in diesem Zustand war. Die Füße versanken im Schlamm, und Joan bedauerte, dass er seine Hanfschuhe angezogen hatte, um einen besseren Eindruck zu machen. Er war daran gewöhnt, barfuß zu laufen, und wenn die Schuhe nicht schon schmutzig gewesen wären, hätte er sie sich auf der Stelle ausgezogen.
»Das da ist der Palast der Familie Mur. Dort hat sich König Ferdinand II . einquartiert, als er herkam, um als Graf von Barcelona die Sonderrechte und Privilegien der Stadt zu beschwören … Der da gehört den Sos … Und der hier dem Bischof von Urgell.«
Joan dachte an den Boden vor seinem Haus in Llafranc, der aus Steinchen und Sand bestand und immer sauber gehalten wurde, selbst wenn es regnete.
»Sie mögen vornehme Adlige sein, aber wenn sie aus ihrem Palast kommen, versinken sie im Schlamm«, sagte er.
Am Ende des Platzes begann eine Straße, die zum Portal del Ángel – dem »Portal des Engels« – führte. Durch dieses Tor in der Mauer kam man in nordwestlicher Richtung aus der Stadt hinaus, und es war das erste Tor, das man morgens öffnete, und das letzte, das man abends schloss. Sie hatten die ganze Stadt durchquert. Links lag die Calle de Santa Anna, und dorthin wandten sie sich nun.
»Hier lebe ich, am Ende der Straße, bei der Porta dels Bergants. Sie führt durch die zweite Mauer Barcelonas zur Rambla«, teilte ihnen Bartomeu mit. »Davor kommt das
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