Am Meer ist es wärmer
sich noch nicht wieder gemeldet. Vor längerer Zeit hatte ich einmal eine Geschichte über eine Frau geschrieben, die in ihrem Garten Blumenzwiebeln - Krokusse - pflanzte. Doch noch ehe sie aufgingen, verließ die Frau ihre Familie. Hatte ich diese Geschichte geschrieben, weil Rei uns verlassen hatte? Bisher war mir nicht bewusst gewesen, dass darin eine Frau das Gleiche tat, was Rei getan hatte.
»Sie ist nicht glücklich geworden«, sagte Seiji. Er hatte sie erst längere Zeit nach ihrem Erscheinen gelesen, da ich sie nicht für seinen Verlag geschrieben und ihm auch nichts davon erzählt hatte. Dennoch war er darauf aufmerksam geworden.
»Wer?« Ich wusste nicht sofort, von wem die Rede war.
»Diese Frau, die ihre Familie verlassen hat.«
Dabei hatte ich gar nicht geschrieben, was aus der Frau geworden war. Allerdings hatte ich mein ganzes Herz in eine Szene gelegt, in der der verlassene Ehemann versunken die tiefgelb leuchtenden Krokusse betrachtet.
»Deine Geschichte vermittelt keine positive Stimmung.«
Natürlich könne eine Frau, die ihre Familie verlassen habe, nicht so einfach wieder glücklich sein, hatte ich damals geantwortet. Seiji hatte gelächelt, und anschließend bedrückt ausgesehen.
Auch wenn er nicht da ist, ist er da.
In der zweiten Zeile änderte ich die Reihenfolge der Satzteile.
Wie sollte ich überhaupt schreiben? So beschäftigt mit meinem Leben, wie ich es war. Wie konnte ich eine Welt erschaffen, die nicht existierte? Rei, der nicht da und doch da war, und Seiji, der da war und doch nicht da. Ich war verwirrt und unglücklich und sehnte mich entsetzlich nach Seiji.
Es überraschte mich selbst, wie sehr ich an ihm hing. Wahrscheinlich lag es daran, dass er da war. Wäre er nicht mehr da, würde meine Sehnsucht ihren Gegenstand verlieren.
Einfach ins Meer werfen?
Ich musste an das denken, was die Frau gesagt hatte.
Einfach ins Meer werfen? Sollte ich?
Ich hörte Seijis Stimme.
Nicht am Telefon. Ich hatte in einem anderen Verlag etwas zu erledigen. Als ich anschließend in den Aufzug stieg, vernahm ich sie.
»Wir müssen feiern, nicht wahr?«, sagte die Stimme.
Ich schaute auf, aber mein Blick fiel nicht auf Seiji, sondern auf einen fremden, gut aussehenden Mann. Ich starrte ihn an.
»Was haben Sie denn?«, fragte der Mann.
Als wir das Erdgeschoss erreichten, waren alle anderen Fahrgäste bereits ausgestiegen. »Ihre Stimme«, sagte ich leise.
»Was ist denn mit meiner Stimme?«, fragte er und sah mir in die Augen.
»Sie klingt genau wie die eines Mannes, den ich kenne.«
»Was denn für ein Mann?«
»Ein Mann, dessen Stimme ich gern hören würde. Aber das ist nicht möglich.«
Das hatte ich eigentlich nicht sagen wollen. Dass es mir herausgerutscht war, lag nicht an der Ähnlichkeit seiner Stimme mit der Seijis, sondern an der Haltung des Mannes.
»Ich stelle Ihnen meine zur Verfügung«, sagte er und legte unvermittelt den Arm um meine Hüfte. Bei ihm wirkte es ganz natürlich. Wir gingen direkt in ein Hotel.
Ich war schweißgebadet.
Nie hätte ich es für möglich gehalten, einfach so mit einem fremden Mann zu schlafen, wo ich so lange Zeit nur mit Seiji zusammen gewesen war.
Aber es ging ganz einfach.
Also war es auch für Seiji und Rei ganz einfach.
Sich von mir zu entfernen. An einen Ort, wo ich sie nicht sehen konnte.
»Du bist attraktiv«, sagte der Mann.
»Das kommt dir so vor, weil ich es wollte.«
»Ich würde das gern wiederholen.«
»Aber besser als heute wird es nicht werden«, erwiderte ich ehrlich.
»Das genügt mir. So ist es ganz normal. Vorstellung und Realität klaffen ohnehin meist auseinander. Und was wirklich ist, weiß sowieso kein Mensch«, sagte der Mann mit ernster Miene.
Kein Mensch weiß, was wirklich ist und was nicht.
Ich musste an Momo denken. Sie hatte etwas Ähnliches gesagt wie der fremde Mann. Sie hatte es anders ausgedrückt, doch wenn man es zu Ende dachte, lief es wahrscheinlich auf das Gleiche hinaus.
»Also, wir sehen uns«, sagte ich mit einem Lächeln zu ihm, auch wenn ich genau wusste, dass ich ihn nie Wiedersehen würde.
Obwohl ich gründlich geduscht hatte, stieg ein leichter Geruch nach Schweiß von meinen Achseln auf.
Ich war gerade dabei, meine Schlafanzughose auszuziehen. Ein munteres Klingeln ertönte, und ich hüpfte, das linke Bein noch in der Hose, eilig zu meinem Mobiltelefon.
Ich wollte bei meiner Morgentoilette auch gleich Wäsche waschen. Hausarbeit lenkte mich von meinen dauernden Gedanken an
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