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Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Am Mittwoch wird der Rabbi nass

Titel: Am Mittwoch wird der Rabbi nass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Kemelman
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hinweg. Sein Vater war ohnehin häufig geschäftlich verreist, manchmal eine ganze Woche lang; also ist er es gar nicht unbedingt gewöhnt, ihn jeden Tag um sich zu haben. Kinder sind flexibel. Hast du auch Kinder?»
    Er schüttelte den Kopf. «Ich bin noch Junggeselle.» Dann lachte er. «Bis vor acht oder neun Monaten, als ich nach Philadelphia kam, war ich nirgends lange genug, um zu heiraten.»
    «Aha, ein Streuner.»
    «So könnte man sagen.»
    «Und warum bist du in Philadelphia geblieben?»
    «Da bin ich zur Uni gegangen. Und bin geblieben, weil ich Kontakt mit Reb Mendels chavura bekam.»
    «Und Religion.»
    «Ich habe gefunden, was ich gesucht hatte», antwortete er schlicht. «Ich habe jetzt eine Vorstellung vom Sinn des Lebens, das Gefühl, ein Ziel zu haben, eine Bestimmung.»
    Sie freute sich, dass er ihr nicht mit dem gleichen Sarkasmus geantwortet hatte. Trotzdem konnte sie eine weitere Spitze nicht unterdrücken. «Und jetzt, da du den Sinn des Lebens entdeckt hast, willst du hier predigen?»
    «O nein! Ich bin ja erst ein Anfänger bei Reb Mendel. Ich würde niemals vorgeben, Experte zu sein. Ich bin nur einige Tage bei meinen Eltern zu Besuch.»
    Sie plauderten – von Leuten, die sie aus der Schule kannten, und dem, was aus ihnen geworden war; von Leahs Plänen, im nächsten Jahr eine Lehrstelle zu übernehmen, damit ‹ich finanziell nicht von Fred abhängig bin›; von seinem Leben auf der Straße, ehe er sich in Philadelphia niederließ, und den verschiedenen Religionsarten, die er ausprobiert hatte, bevor er zu Reb Mendels chavura gestoßen war. «Wenn man in eine neue Stadt kommt, lernt man am schnellsten Leute kennen, indem man zu einer von diesen religiösen Zusammenkünften geht.»
    Dann rief Jackie von oben herunter: «Ich habe gebadet, Mommy!»
    «Ich komme, Liebling!»
    «Tja, ich sollte wohl auch jetzt gehen», sagte Akiva.
    «Ach so, ja. Ich hab mich gefreut, dich wieder zu sehen.» Sie ging zur Treppe. «Es macht dir doch nichts aus, wenn …»
    «Ich finde schon allein hinaus.»
    Als er am Strand entlang zu seinem Wagen zurücktrottete, dachte Akiva über diesen Besuch nach. Er war ein kleines bisschen enttäuscht darüber, dass sie ihn nicht gebeten hatte, sie anzurufen, aber zugleich ziemlich erleichtert. Er sagte sich, dass es ja doch keinen Sinn habe, in Barnard’s Crossing mehr Bindungen zu knüpfen, als unbedingt nötig waren.

12
    Der Wetterbericht am Mittag hatte sich fast ausschließlich mit dem Hurricane Betsy beschäftigt. Es gab Bilder von den Verheerungen, die der Sturm bereits an der Küste von Carolina angerichtet hatte, und Satellitenfotos von der Ostküste, die darauf schließen ließen, dass das südliche New England dem Sturm nicht ganz entgehen würde. Aber niemand machte sich große Sorgen, denn es regnete nicht, und die Luft war, bis auf gelegentliche Windböen, sehr mild. Und wenn auch dicke, schwere Wolken den Himmel bedeckten, so lugte immer wieder einmal für einige Minuten die Sonne hindurch, mit goldenen Lichtstrahlen, die vor dem dunklen Wolkenhintergrund deutlich sichtbar waren.
    Am frühen Nachmittag war die Flut außergewöhnlich hoch, hatte aber noch nicht ihren höchsten Stand erreicht. Der ganze Strand war von Autos gesäumt, deren Insassen gekommen waren, um die majestätische Wut der Brandung zu betrachten. An verschiedenen Punkten der Kaimauer, dort, wo das Land ins Wasser hineinragte, war die Brandung besonders stark, und hier hatten sich Teenager versammelt, um den Elementen zu trotzen. Wenn eine riesige Woge sich an den Felsen brach und dann wieder zurückrollte, wagten sie sich bis an den Rand des Wassers heran, um die nächste große Welle herauszufordern, und wichen anschließend hastig zurück, um der Gischt zu entgehen, wenn sie brach. Manchmal warteten sie zu lange, oder die Woge war mächtiger, als sie dachten; dann wurden sie jedes Mal klatschnass, während ihre vorsichtigeren Freunde aus sicherer Entfernung in lautes Hohngelächter ausbrachen.
    Jonathan, der fünfjährige Sohn des Rabbi, hatte einen großen Teil des Nachmittags spielend im Garten verbracht. Jetzt kam er ins Haus gelaufen und erzählte, sein Freund von nebenan habe in Begleitung zum nahen Strand gehen dürfen, um der Brandung zuzusehen, und er wolle ebenfalls dorthin. Er wandte sich mit dieser Bitte natürlich an seine Mutter, die ihrem Ehemann daraufhin mitteilte, nachdem er den ganzen Nachmittag lang in seinem Studierzimmer gehockt habe, werde ihm ein bisschen

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