Am Montag flog der Rabbi ab
Arzttasche mit – der reibungslose Bewegungsablauf verriet langjährige Übung – und stellte dann fest, dass die Wohnung von Adoumis dunkel war. Er blieb einen Augenblick überlegend stehen und ging dann ein paar Schritte die Straße hinauf, um die Stelle zwischen Kol Tov Street Nummer zwei und vier zu inspizieren, wo Abner Adoumi gewöhnlich seinen Wagen parkte. Er war nicht da. Seine Patientin, Sarah Adoumi, hatte das Haus nicht verlassen, davon war er überzeugt. Vermutlich war sie vor Einbruch der Dunkelheit eingedöst und ihr Mann noch nicht zurück.
Er könnte klingeln, und das würde sie aufwecken. Immerhin wurde er erwartet, und vielleicht schlief sie gar nicht, sondern ruhte nur. Andererseits widerstrebte es ihm, sie zu untersuchen, wenn ihr Mann nicht da war. Es war beinahe sieben, und Abner würde zweifellos in wenigen Minuten erscheinen. Vielleicht wäre es am besten zu warten.
Dann fiel ihm sein anderer Patient ein, ein gewisser Memavet, den er noch nie behandelt hatte und der nur eine Straße weiter, Mazel Tov Street eins, wohnte. Wahrscheinlich eine Infektion der oberen Luftwege, nach den telefonischen Angaben zu schließen. Aspirin, Bettruhe, vielleicht ein Hustensirup gegen die Reizung im Rachenraum. In zehn bis fünfzehn Minuten konnte er das erledigt haben, und inzwischen wäre dann Adoumi zu Hause. Es war ihm lieber, seinen Tag bei den Adoumis zu beenden. Er konnte sich Zeit lassen, ein Glas Tee trinken und sich freundschaftlich unterhalten, bevor er nach Hause fuhr.
Statt in den Wagen zu steigen und in der engen, aufgeweichten Straße zu wenden, benutzte er den Durchgang zwischen dem Erdwall und den Häusern. Es war dunkel hier, und er leuchtete sich mit der Taschenlampe.
Auf halbem Weg hielt er inne und überlegte angestrengt. Dann ging er zurück. Im Vestibül des Apartmenthauses war eine öffentliche Telefonzelle, und er rief in Adoumis Büro an.
«Abner? … Ben Ami … ich bin in eurem Haus, im Vestibül, meine ich … Nein, Sarah hab ich noch nicht gesehen. Es brennt kein Licht, ich nehme an, sie ist eingedöst … Nein, ich wollte warten, bis du heimkommst. Aber ich hab dir was Wichtiges zu erzählen … Nein, lieber nicht am Telefon. Wann bist du zu Hause? … In einer halben Stunde? Sehr gut … Nein, macht überhaupt nichts, ich habe noch einen Patienten im nächsten Block, dann gehe ich zuerst zu ihm.»
Ecke Shalom Avenue und Mazel Tov Street blieb Roy Stedman stehen und sah auf die Uhr. Kurz vor sieben.
Die Nacht war nebelig, der Himmel bewölkt, und jetzt begann es zu regnen. Er stellte den Mantelkragen hoch und ging weiter. Vor Memavets Haus stand kein Auto, weder ein neues noch ein gebrauchtes; auf der ganzen Straße war nirgends ein Wagen zu entdecken. Seine Uhr zeigte immer noch einige Minuten vor sieben, deshalb wartete er.
Eine Viertelstunde später war er ganz sicher, dass auch kein Auto mehr kommen würde.
Er überquerte die Straße und wollte gerade klingeln, als ein Mann aus der Wohnung kam und die Tür vorsichtig hinter sich zuzog. Er sah Roy erstaunt an.
Roy bemerkte die schwarze Tasche. «Ach so, Sie müssen der Doktor sein. Ich wollte Mr. Memavet besuchen.»
«Stimmt, ich bin sein Arzt. Mr. Memavet geht es nicht gut. Er liegt im Bett, und ich möchte nicht, dass er gestört wird. Außerdem habe ich ihm eben eine Spritze gegeben. Er müsste aufstehen, um die Tür zu öffnen.»
«Na ja, schön … In dem Fall komme ich wohl besser morgen früh wieder.»
«Genau.»
«Na, dann kann ich ja gehen. Hm … gute Nacht.»
«Gute Nacht.»
Roy machte sich auf den Weg. Er schaute zurück und sah den Arzt vor dem Haus stehen und ihn beobachten. Auf halber Höhe der Straße drehte er sich abermals um. Der Doktor war inzwischen verschwunden. Roy machte kehrt und ging zurück.
29
Die Detonation war nicht laut. Bis auf das klaffende Loch in der Wand von Memavets Wohnung und ein paar kaputte Fensterscheiben war kein großer Sachschaden entstanden. Doch anders als bei der Explosion, durch die Professor Carmi vor zwei Monaten sein Leben eingebüßt hatte, war diesmal, da es noch am frühen Abend war, eine große Menschenmenge durch die Sirenen der Feuerwehr, wenn nicht durch die Detonation selber angelockt worden. Die Polizei hatte Mühe, das Gebiet abzuriegeln.
Auch die Reaktion auf den Tod des alten Mannes unterschied sich erheblich von der, die das Unglück mit dem Professor ausgelöst hatte. Nach Carmis Tod war die Presse voll von Spekulationen darüber, warum
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