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Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Titel: Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Vollkommer
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Aber zwischen diese Schnappschüsse drängte sich immer wieder dieses grauenhafte Bild der Trümmer und des Mädchens, das seine Puppe suchte. Und dann andere Bilder: Jack als stolzer Kapitän seines eigenen Schiffes, hochgewachsen, sonnengebräunt, von allen bewundert. Glanzvolle Abenteuer auf hoher See. Und wieder das Kind. Als ob es sich mit aller Gewalt in seinem Herzen Platz schaffen, dort nach Zuwendung suchen würde. Unerbeten, unerwünscht. Peinlich.
    »Gehen wir zurück aufs Schiff?«, sagte er zu seinen Kameraden.
    »Alles in Ordnung, Jack?«
    »Mir ist bloß etwas schwindelig. Die schlechte Luft wahrscheinlich«, antwortete er abwesend.
    Alle wunderten sich über Jacks bedrückte Stimmung. Er lief auf dem Schiffsdeck hin und her, in Gedanken versunken. In der Nacht träumte er. Graue Steinplatten mit unleserlichen Inschriften in einer gottverlassenen Landschaft, in der es keine Bäume gab. Ausgedorrte Gräser, die zwischen den Platten wehten. Eine trockene Brise, die durstig machte. Keine Sonne. Er versuchte, ein Zelt aufzustellen, fand aber keinen Platz zwischen den Steinplatten. Es war zu windig. Er suchte nach seiner Wasserflasche, aber sie war weg. Das Mädchen lief vorbei, sie suchte zwischen den Steinen nach der Puppe. Er wollte sie fragen, wo es Wasser gab und wer denn unter den Steinen lag, aber er konnte sie nicht einholen. Er wachte auf und hatte Kopfweh.
    Hatte Gott seine Finger im Spiel? Wollte er Jack an frühere Entschlüsse und Versprechen erinnern? Gottesbegegnungen sahen doch aber anders aus. Mit einem eindeutigen Reden von Gott, mit freudiger Gewissheit und einem klassischen missionarischen Sendungsbewusstsein verbunden. Oder doch nicht? Der Prophet Daniel war zwei Wochen lang krank gewesen. Jesaja erlitt so etwas wie einen Zusammenbruch. Mose rang mit der eigenen Unsicherheit und weigerte sich.
    Hiroshima hatte sich in seiner Seele eingenistet, ob er wollte oder nicht.
    Jahre später in der Arktis schöpfte Jack den Verdacht, dass dieser schicksalhafte Abstecher ans japanische Ufer nicht nur seelische, sondern auch körperliche Spuren hinterlassen hatte. Er wurde von einer unerklärlichen Krankheit heimgesucht, für die es auch nach vielen Arztbesuchen keine Diagnose gab. Inzwischen gab es jede Menge Untersuchungen zu den Spätfolgen radioaktiver Strahlung bei Menschen, die der verseuchten Luft Hiroshimas und Nagasakis ausgesetzt gewesen waren. Als Jack einen Spezialisten fragte, ob dies die Ursache seiner Beschwerden sein könnte, zeigte sich dieser unbeeindruckt und lenkte Jacks Aufmerksamkeit mit trockener Nüchternheit auf eine andere Tatsache.
    »Ich sehe, Sir, dass Sie sich hauptsächlich von Karibufleisch ernähren. Wenn radioaktive Strahlung in Ihren Körper gelangt ist, dann ist es wahrscheinlicher, dass dies über die Karibus gekommen ist. Im Winter wandern die Tiere nämlich über den tiefgefrorenen Nordpol nach Russland und ernähren sich vom Moos der nördlichen Tundra. Und wo, meinen Sie, führen die Russen ihre ganzen radioaktiven Tests durch?«
    Woher die Symptome kamen, wurde nie geklärt. Sie gingen von alleine wieder weg.

    Am Ende seines Dienstes bei der Marine winkten Jack zwei Lebensentwürfe. Das Angebot, in den Offiziersrang befördert zu werden und auch nach dem Krieg Karriere bei der Marine zu machen, war für einen jungen Mann verlockend, der in fünf Jahren auf Kriegsschiffen ein Seefahrer aus Leidenschaft geworden war. Und dann der Lebensweg, den sein Vater für ihn vorgesehen hatte: ein bürgerlicher Traumjob als Chef der Schuhfabrik in Leicester. Der Betrieb war entgegen allen Erwartungen gediehen, und William träumte von einem Familienunternehmen mit seinen Söhnen.
    Jack ging stundenlang in dem Park spazieren, in dem er als Junge Kricket gespielt hatte, und dachte an die Mutter, die in den Ruinen ihres Hauses nach Überresten einer verlorenen Existenz gesucht hatte. Und dann wieder an das Kind. Ein neues Element gewann in diesen Wahrnehmungen immer klarer an Gestalt: Der Gedanke daran, dass es auf dieser Erde unzählige »Hiroshimas« gab, in denen Menschen mitten in Lebenstrümmern nach vertrauten Relikten einer sinnvollen Existenz suchten. Ein inneres Drängen drückte ihm auf der Seele und verwandelte sich in ein unausgesprochenes Gebet, das jedes andere Vorhaben nach und nach zum Schweigen brachte.
    »Gib mir nur ein Stück gebrochene Menschheit, einen wüsten Landstrich irgendwo in dieser Welt, und ich werde versuchen, zu helfen, Gutes zu tun, die

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