Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
schreibt, dass sie einen netten amerikanischen Soldaten kennengelernt hat.«
»Sie? Wer ist sie?«
»Meine Frau.« Sam, die muskelbepackte Sportskanone der Schiffsmannschaft, fing an zu schluchzen wie ein Kind. »Jack, ich will sie nicht verlieren. Was soll ich tun? Mir brennen alle Sicherungen durch.«
»Nur mit der Ruhe, Sam. Woher weißt du, dass zwischen den beiden was läuft?«
»Sie schwärmt davon, dass er ihr Strümpfe und Unterwäsche aus den Staaten schickt. Da kann ich nie und nimmer mithalten. Wenn sie fremdgeht, will ich nicht mehr leben. Im Ernst, Jack!«
Jack blickte mitleidsvoll auf den kräftigen, abgehärteten Seemann, der neben ihm saß, gebeugt und mit den Händen über dem Gesicht.
»Pass auf, Sam. Deine Nerven liegen gerade blank. Kommt bei uns allen vor. Vielleicht ist es etwas ganz Unschuldiges. Sei mal ehrlich. Meinst du wirklich, sie würde ausgerechnet dir so fröhlich davon schreiben, wenn sie mit dem Kerl durchbrennen wollte? Vielleicht freut sie sich nur über die schönen Sachen und denkt sich nichts dabei. Du weißt, dass Frauen auf solche Dinge stehen.«
»Du hast recht. Seit Monaten nur ausharren, warten, noch mal aushalten. Manchmal denke ich, Jack, dass es einfacher wäre, wenn wir wirklich in Kampfhandlungen verwickelt wären. Dieses Warten treibt mich in den Wahnsinn. Du denkst sicher, ich bin eine feige Heulsuse.«
Jack legte als Antwort seinen Arm um die Schulter seines Freundes, drückte dessen Kopf sanft an seine Schulter.
»Wir haben noch eine Stunde frei, Sam. Ich hole mein Schachbrett. Spielen wir eine Runde und unterhalten uns weiter. Dann kommst du auf andere Gedanken.«
Kein Problem war gelöst, keine Krise ausgestanden, aber ein gebrochener Mann fasste Mut für einen weiteren Tag des Ausharrens.
Für seine militärischen Dienste auf der »Verdun« wurde Jack in den stolzen Rang des »Able Seaman John Sperry« befördert, ein Titel, der den Soldaten zustand, die sich mindestens zwei Jahre lang auf hoher See ausgezeichnet hatten. Danach verschlug es Jack auf eine Flottille von sechs Minenräumschiffen und Richtung Ostasien, in die Arme der japanischen Supermacht. Letztere hatte sich nach dem legendären Angriff auf Pearl Harbour im Dezember 1941 mit Entschlossenheit aufgemacht, neue Weltmacht im Pazifik wie auch in ganz Südostasien zu werden. Jacks Flottille war nach der Kapitulation der Japaner am 2. September 1945 an der Aufräumaktion beteiligt. Die feindlichen Streitkräfte hatten die verlassenen Gewässer – sozusagen als Abschiedsgeschenk – mit Minen übersät. Die Aufgabe der Flottille war es nun, diese zu entdecken und zu entschärfen, bevor sich weitere alliierte Schiffe einen Weg durch die ehemals feindlichen Meere bahnten.
»Ein Hoch auf den Frieden in Europa! Derweil überwachen wir in aller Treue die Außenposten des Empires und mühen uns Tag für Tag unter Einsatz unseres Lebens ab, die Wasserwege Seiner Majestät frei zu halten«, schrieb Jack scherzhaft an seine Eltern, »nur damit ihr eure Essensrationen bekommt, wie die Maden im Speck herumfaulenzt und vor allem damit du, lieber Vater, auf deine lebenswichtigen Zigaretten nicht verzichten musst! Demnächst machen wir uns Richtung Malaysia auf. Ich habe Roy geschrieben, dass er nach unserer Schiffsnummer J389 Ausschau halten und mir zuwinken soll, falls er zufällig an einem der Tausend Strände Asiens spazieren geht und meine hochgewachsene Gestalt an Deck erspäht, während unser Schiff zufällig an ihm vorbeisegelt.«
Dieser Scherz hatte prophetische Kraft. Dass Jacks Schiff tatsächlich in den Hafen der Insel Penang in Malaysia einlief, gerade als Roy einen Spaziergang am Strand machte und die Schiffsnummer J389 an einem vorbeisegelnden Minenräumschiff erkannte, war der Stoff für lange Briefe nach Hause mit euphorischen Beschreibungen der unvergesslichen drei Tage, die die Brüder in Fernost miteinander verbringen durften.
Der 8. Mai 1945. Harry Truman, Präsident der Vereinigten Staaten, gab die »unconditional surrender« (»die bedingungslose Kapitulation«) von Nazi-Deutschland bekannt und Winston Churchill schloss die Rede seines Lebens mit verhaltener Freude ab: »We may allow ourselves a brief moment of rejoicing – long live the call of freedom!« (»Wir dürfen uns einen kurzen Augenblick der Freude erlauben – lang lebe der Ruf der Freiheit!«) Adolf Hitler hatte sich lieber das Leben genommen, als zu kapitulieren. Truman und Churchill warnten vor einer
Weitere Kostenlose Bücher