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Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis

Titel: Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Vollkommer
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Dingen«, sagte die Hausherrin, nachdem sie die Zuhörer zur Ruhe gerufen hatte. Alle Augen richteten sich wieder auf Jack.
    »Es gibt einen Unterschied zwischen Kanaga Faluk und dem Gott der Bibel«, erklärte Jack, »einen ganz wichtigen.« Er hatte zwar keine Ahnung, wer Kanaga Faluk war, vermutete aber, dass sie ein Meeresgeist war, dem Unfälle und Missgeschicke zugeschrieben wurden.
    »Der christliche Gott ist nicht böse auf uns. Er legt auch keine Flüche auf uns, um uns zu strafen! Auch nicht, wenn wir etwas Falsches getan haben. Wenn er verordnet, dass wir dies machen oder jenes lassen sollen, dann hat es einen Sinn und dient dazu, dass es uns gut geht. Er nahm selbst die Strafe für unsere Fehltritte auf sich. Meine Freunde, es gibt keine Strafe mehr für die, die an ihn glauben!«
    »Und wenn schlimme Dinge passieren? Keine Robben? Keine Karibus? Ein Jagdunfall? Ist das denn nicht Strafe?«, fragte der alte Mann skeptisch und blies eine Wolke von Rauch aus seinem Mund, als ob er dadurch seinen Punkt unterstreichen wollte.
    »Diese Dinge passieren, weil die Welt nicht unter der Herrschaft Gottes ist. Aber Jesus kam, um uns Leben zu bringen, Leben im Überfluss. Er hilft uns, wenn die Dinge nicht so laufen, wie wir wollen. Er tröstet in Krankheit, gibt Kraft in Schwachheit, und sogar wenn wir sterben müssen, und das müssen wir alle irgendwann, ist er dabei und schenkt uns ewiges Leben, eine Hoffnung für die Ewigkeit.«
    Jack redete weiter. Endlich herrschte eine dieser nachdenklichen Stimmungen, die er zu schätzen gelernt hatte, weil sie so selten waren. Er war in voller Fahrt, Alfred verlieh seinen Worten durch seine Übersetzung noch mehr Nachdruck.
    Plötzlich ging ein Kichern durch die Reihen. »Hab ich was Lustiges gesagt? Oder hat Alfred etwas falsch übersetzt?«, dachte Jack besorgt, bis auch er kräftige Lutsch- und Sauggeräusche hörte, die von einem hinteren Teil des Iglus kamen. Die Gastgeber hatten einen Erker an ihr »Wohnzimmer« angebaut für eine Hündin und ihre neugeborenen Welpen. Diese waren durch die Hektik der Diskussion wach geworden und verlangten nach Milch. Die Welpen stritten mit einem lautstarken Gequietsche miteinander und schoben sich gegenseitig aus dem Weg. Die Versuche der Gastgeber, sowohl bei Hunden als auch bei Zuhörern wieder für Ruhe zu sorgen, steigerten nur den Lärmpegel. Jack dachte kurz an eine Szene vor langer Zeit, als der Herr der Welt als Kind in einem Stall geboren wurde, in der Gesellschaft der Tiere des Feldes und unter Menschen, die in ähnlich widrigen Umständen um ihre Existenz kämpften wie diese.
    Die heilige Atmosphäre war weg. Jack schloss seine Bibel mit einem resignierten »O. k. Freunde, morgen machen wir weiter«, und bat lachend um einen Tee. Oder war die heilige Atmosphäre doch nicht weg?

    »Stauraum für die Vorräte des Minihitaks frei machen!«
    »In welchem Iglu schlafen sie?«
    Der Besuch der Missionare war der Höhepunkt des Jahres für die Bewohner von Tuktutuk. Diese kleine Siedlung war im Sommer durch das Wasser des Coronation Gulf von Coppermine getrennt. Im Winter war diese Bucht gefroren und verwandelte sich in eine Durchgangsstraße. Das Kinderlachen und das Bellen der Hunde, vermischt mit dem Schreien der Erwachsenen, hörten die Männer lange bevor sie die Schneehäuser sichteten, die wie sanft leuchtende, gelbe Halbkugeln am Horizont gegen den dunklen Himmel glühten.
    »Als ob ein Fest im Gange wäre«, grinste Jack.
    »Den Schlittenspuren nach war nur die berittene Polizei vor uns hier«, antwortete Alfred.
    »Und was macht die Polizei in so einer Siedlung?«
    »Hauptsächlich Tee trinken und plaudern. Und nebenbei behördliche Dinge regeln: Volkszählung, Jagdscheine aushändigen, Wildbestand überprüfen. Reine Formsachen. Als Polizeibeamte der kanadischen Regierung lebt es sich hier gut, Mr Sperry!«
    »Ich habe wohl den falschen Beruf gewählt«, lachte Jack. »Aber fühlen sich die Igluleute nicht bevormundet?«
    »Keineswegs«, erwiderte Alfred, »sie freuen sich sogar, wenn die Polizei kommt. Diese gibt sich allerdings auch große Mühe, ihnen zu helfen.«
    Als die Besucher endlich ankamen, stolperten auch die trägsten Schlafmützen aus ihren Schneehäusern. Nach einem festen, herzlichen Handschlag zur Begrüßung waren alle vollauf beschäftigt. Ein Platz wurde für die Besuchshunde freigeschaufelt, viele helfende Hände trugen die Vorräte vom Schlitten in das Schneehaus des Gastgebers, wo Jack und Alfred

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