Am Rande der gefrorenen Welt - Die Geschichte von John Sperry Bischof der Arktis
nach ihrer Hochzeit übernahm Betty offiziell die Rolle der Dorfkrankenschwester. Die kleine medizinische Ambulanz, die die Regierung in Coppermine stationiert hatte, war nicht immer besetzt und die kanadischen Schwestern, die ab und zu dort Pflichteinsätze ableisteten, waren für Bettys Unterstützung und Erfahrung dankbar.
»Wie haben wir das bloß gemacht, bevor du hier warst?«, wunderte sich Jack schon eine Woche nach der Hochzeit.
»Keine dummen Fragen, Jack, ich habe Martha gesagt, sie soll hierherkommen, wir entbinden neben dem Ofen. Die Krankenstation ist geschlossen und sie ist ganz allein.«
Martha war die Frau von Peter, einem von Jacks Mitarbeitern. Auch christliche Eskimos rissen sich nicht gerade darum, ihren Frauen bei der Geburt eines Kindes beizustehen. Meistens gingen sie »zufällig« auf die Jagd und kamen gerne erst dann zurück, wenn buchstäblich alles, Baby inklusive, in trockenen Tüchern war. Peter war in diesem Fall zwar nicht auf die Jagd, aber zum Holzholen gegangen, irgendwohin weit weg. Betty unterließ es, ihm negative Absichten zu unterstellen.
Jack schluckte und kämpfte gegen die steigende Panik.
»Kaum ist Regel drei endgültig außer Kraft gesetzt«, murmelte er, »da tritt Regel vier in Erscheinung: Wenn eine Nachbarsfrau ihren Geburtstermin hat, lad sie zu dir ins Wohnzimmer ein. Alle Mann an Deck.« Und etwas lauter: »Was soll ich machen, Liebling?«
»Wasser aufsetzen, bitte viel davon. Handtücher am Ofen wärmen. Mit ihnen nimmst du das Kind in Empfang, wenn es da ist.« Jacks Kinnlade fiel herunter.
»Sei nicht zimperlich, Jack. Du hast schon schlimmere Gefahren durchgestanden. Übrigens liegt das Kind in Steißlage. Eine Risikogeburt. Aber zu zweit kriegen wir das hin. Hände waschen bitte. Und desinfizieren. Das Desinfektionsmittel steht auf dem Fenstersims.«
Betty war bereits dabei, die stöhnende, aber dankbare Martha für das große Ereignis zu richten und tastete ihren dicken Bauch mit einem konzentrierten Runzeln auf der Stirn ab.
»Steißlage heißt, der Po kommt zuerst. Es muss schnell gehen, damit das Kind rechtzeitig Sauerstoff bekommt. Ganz ruhig, Martha, du musst jetzt alles machen, was ich dir sage, in Ordnung?«
»Ist es ihr nicht peinlich, dass ein Mann dabei ist?«, fragte Jack vorsichtig, während er den ersten Topf Wasser auf den Ofen stellte.
»Ich glaube, ihr ist im Moment ziemlich alles egal. Luft holen, Martha, es geht wieder los. Ruhig bleiben und rhythmisch atmen, bis der Schmerz nachlässt.«
Qualvolle Stunden gingen vorüber.
»Schlimmer als die Strapazen aller Winterreisen zusammengenommen«, dachte Jack, als er sich den Schweiß von der Stirn wischte und dem Drang widerstand, den Raum fluchtartig zu verlassen.
»Das sind endlich die Presswehen!«
Die Dringlichkeit in Bettys Stimme und die erschrockenen Schreie der gebärenden Frau holten Jack aus seinen Gedanken zurück.
»Stell dich einfach neben mich mit dem Tuch, Jack. Ja nicht fallen lassen. Achtung, hier kommt der Po. Martha, pressen, noch mehr, nicht jammern, es ist bald vorbei, nur noch ein oder zwei Wehen, bald haben wir es geschafft.«
So kam Jack in den unerwarteten Genuss, zum ersten Mal in seinem Leben ein Baby zu entbinden. Mitten in seinen Flitterwochen.
»Ähnlich glitschig, als wenn man einen großen Fisch aus dem Wasser holt«, dachte er, als er das schreiende Häufchen, das am anderen Ende des erscheinenden Körpers einen stattlichen Kopf voller Haare hatte, sorgfältig ins Leben zog und so schnell wie möglich Betty überreichte.
Das Kind war gesund, die Mutter überglücklich. Jack schaute die Frau, die er eine Woche zuvor geheiratet hatte, mit kopfschüttelnder Bewunderung an.
Die Nachricht, dass die Frau des Missionars als Geburtshelferin Wunder wirken konnte, verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und bald hatte Betty ihren Ruf als Schutzpatronin aller schwangeren und gebärenden Mütter weg. Schon einfache Prinzipien der Hygiene und der Sauberkeit, die vor der Ankunft der Missionare fremd gewesen waren, führten zu Jacks und Bettys Zeit zu einer Verringerung der Sterblichkeitsrate. Kritisch wurde es, wenn Komplikationen auftraten. So auch, als Betty nicht lange nach ihrer Heirat gebeten wurde, eine schwangere Frau auf einem Notflug nach Yellowknife zu begleiten. Es war mitten im Winter. Irgendein Bauchgefühl bewegte Betty, in letzter Minute vor dem Abflug schnell ins Haus zurückzurennen und eine Schere, ein Knäuel Schnur, ein paar Zeitungen und
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