Am Rande Der Schatten
halten.«
»Wir haben keinen Posten«, blaffte Solon. »Wir haben keinen König, wir haben keinen Herrn. Wir haben dreihundert Männer und ein besetztes Land. Unsere Schwüre galten Männern, die jetzt tot sind. Unsere Pflicht ist es, diese Männer am Leben zu erhalten, damit sie kämpfen können, wenn sich uns eine Chance bietet. Dies ist nicht die Art Krieg, in der wir ruhmreich mit gezückten Schwertern auf die feindlichen Linien zustürmen.«
Lord Vass war jung genug, um vor Ärger und Verlegenheit zu erröten. Natürlich war das genau die Art Krieg, die er im Sinn hatte, und es war ein Fehler gewesen, sie herabzusetzen. Wie lange war es her, dass Solon diese Illusionen von Krieg verloren hatte?
Die Männer zuckten nicht mit der Wimper, aber sie alle sahen den Ärger auf Lord Vass’ Gesicht, das Rot seiner Haut, das im flackernden Fackellicht noch röter schien.
»Wenn Ihr wollt, dass wir fortgehen, verlange ich den Grund zu erfahren«, sagte Lord Vass.
»Ein Kontingent khalidorischer Elitesoldaten, das man die Seelengeschworenen nennt, ist auf dem Weg hierher. Sie bringen die khalidorische Göttin Khali nach Cenaria. Sie werden die Mauer zur Hexerstunde angreifen.«
»Und Ihr wollt, dass wir fortgehen?«, fragte Vass ungläubig. »Wisst Ihr, was es bedeuten wird, wenn wir die khalidorische Göttin gefangen nehmen? Es wird sie vernichten. Es wird unseren Landsleuten Hoffnung geben. Wir werden Helden sein. Dies ist der Ort, um ihnen Einhalt zu gebieten. Dies ist die Gelegenheit, auf die wir gewartet haben.«
»Sohn, diese Göttin …« Solon knirschte mit den Zähnen. »Wir reden nicht davon, eine Statue gefangen zu nehmen. Ich denke, sie ist real.«
Lehros Vass sah Solon an, zuerst ungläubig, dann unduldsam. »Wenn Ihr davonlaufen müsst, dann geht. Ihr wisst, wo die Straße ist.« Er lachte leise, von Schwindel erfüllt ob seiner eigenen Großartigkeit. »Natürlich kann ich Euch nicht gehen lassen, bevor Ihr mir mein Gold zurückgegeben habt.«
Wenn Solon ihm erzählte, wo sein Gold jetzt war, würde Vass es sofort von seinen Männern holen lassen. Dorian würde hilflos zurückbleiben.
»Zur Hölle mit Euch«, sagte Solon. »Und zur Hölle mit mir. Wir werden zusammen sterben.«
Schwester Ariel Wyant saß fünf Schritt von der ersten magischen Grenze entfernt, die den Iaosischen Forst von dem Eichenhain trennte. Während der vergangenen sechs Tage hatte sie den Blick auf das geheftet, was eine Plakette zu sein schien, die sechs oder sieben Meter vom Waldrand entfernt war. Es sah nicht so aus, als würde sie schon lange dort stehen: Das Unterholz hatte sie noch nicht bedeckt.
Ihre erste Hoffnung bei all ihren Betrachtungen des Zaubers hatte darin bestanden, dass Ezra ihn vor Hunderten von Jahren gewoben hatte. Ohne von einem weiteren Magus aufgefrischt worden zu sein, hätte sie erwartet, dass der Zauber nach so langer Zeit verfallen wäre. Zauber verfielen immer. Aber bei Ezra bedeutete immer nicht immer. Der Beweis schimmerte vor ihr, sie konnte ihn sehen; für das Auge eines magisch Untalentierten und Ungeübten war er gewiss unsichtbar.
Die zweite Hoffnung war die, dass Ezra angesichts seiner Macht und der Macht der anderen Magi seines Zeitalters sich gegen Widersacher verteidigt haben musste, die mächtiger waren als alle, die heute lebten. Schwester Ariel hatte nicht die Arroganz zu denken, sie sei jenen Magiern ebenbürtig, die Ezra erwartet haben würde. Sie konnte nur hoffen, dass ihre leichten Berührungen auf den Zaubern außerhalb von deren Wahrnehmungsspektrum lagen. Termiten waren winzig, zerstörten aber so manch mächtiges Haus.
Also hatte sie die Zauber, die den Iaosischen Forst vom Eichenhain trennten, sechs Tage lang untersucht und abermals untersucht. Ihre Magie war schön wie das Netz einer schwarzen Witwe. Es gab sowohl kleine wie große Fallen. Es gab Zauber, die dazu bestimmt waren, bei der leisesten Berührung zu zerreißen, Zauber, die dazu bestimmt waren, entwirrt zu werden, Zauber, die selbst mit dem Doppelten von Ariels Stärke nicht durchbrochen werden konnten. Und jeder hatte eine Falle.
Ariel konnte genau erraten, was Schwester Jessie getan hatte. Sie hatte wahrscheinlich versucht, ihre Magie zu verbergen. Während des ersten Tages war es ihr wie eine perfekte Strategie erschienen. Es war eine Strategie, die funktioniert hätte, wäre Ezra simpel gewesen. Schwester Jessie war wach
genug, um ihre Magie zusammenzudrücken und sie dann zu beschirmen. Damit
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