Am Rande Der Schatten
die Plakette sich nicht. Sie klemmte irgendwie fest. Dann, während Ariel zog, verlagerte sich ein Teil des Hügels und befreite die Plakette. Es war kein Hügel: Es war Schwester Jessies Körper. Sie war seit Wochen tot. Schimmel wuchs auf ihren leuchtenden Roben und verdeckte die Blutflecken. Es sah aus, als hätte eine Klaue mit einem einzigen schrecklichen Schlag die Hälfte ihres Kopfes weggerissen. Seit ihrem Tod hatten keine Tiere ihren Leichnam angerührt: In Ezras Wald gab es keine Bären, keine Kojoten, keine Raben oder andere Aaßfresser, aber die Würmer hatten bereits einen guten Teil ihrer Arbeit geleistet.
Schwester Ariel wandte den Blick ab und gestattete sich einen Moment lang, eine Frau zu sein, die vor dem verstümmelten
Leib einer Bekannten stand. Sie atmete langsam ein und aus, dankbar dafür, dass Jessies Leichnam so weit entfernt war. Tagelang war sie dem Leichnam so nahe gewesen, und sie hatte nicht einmal Verwesung gerochen. War das ein Trick des Windes, oder war es Magie?
Schwester Jessie hatte die Plakette mit beiden Händen umklammert gehalten.
Schwester Ariel schob all ihre Gefühle entschlossen beiseite. Sie würde sich später Tränen gestatten, wenn Tränen kommen mussten. Für den Augenblick war sie möglicherweise in Gefahr. Sie betrachtete die Plakette. Sie war zu weit entfernt, um zu erkennen, welche Symbole sich darauf befanden, wenn überhaupt welche da waren, aber etwas an der Plakette ließ sie bis auf die Knochen gefrieren.
Die quadratische Plakette hing mit Haken an dem Seil fest. Sie sahen so aus, als hätten sie sich gebildet, als das Lasso gelandet war, um ihr zu helfen, sie herauszuziehen.
Sie zog die Plakette bis dicht an den Zauber heran, hielt sie jedoch jenseits der magischen Grenze. Es ließ sich nicht sagen, was geschehen würde, wenn man etwas, das möglicherweise magischer Natur war, durch die Barriere zog. Die Schrift war gamitisch, aber Ariel erinnerte sich überraschend gut daran.
»Wenn dies der vierte Tag ist, lass dir Zeit. Wenn es der siebte ist, zieh es jetzt durch den Zauber«, besagte die Schrift.
Die Runen gingen noch weiter, doch Ariel hielt inne und runzelte die Stirn. Es war ganz und gar nicht das, was jemand normalerweise auf eine Plakette schreiben würde. Sie fragte sich, an wen die Worte gerichtet sein könnten. Vielleicht war diese Plakette Teil einer uralten Prüfung gewesen? Eines Ritus
für Magier? Wie hatte Schwester Jessie das Geschriebene interpretiert? Warum hatte sie es für so wichtig gehalten?
Sie las weiter: »Tage für den Zauber, Pferdegesicht. Und übrigens, du bist eine lausige Werferin.«
Ariel ließ das Seil aus gefühllosen Fingern fallen. Man hatte sie als Anfängerin Pferdegesicht genannt. Sie versuchte, die Worte auf eine andere Weise zu übersetzen, aber die gamitischen Runen machten klar, dass es sich um einen persönlichen Namen handelte, eine spezielle Beleidigung und nicht etwas Allgemeines.
Während sie die Art betrachtete, wie die Plakette jetzt an dem Seil hing, war sie plötzlich davon überzeugt, dass die Plakette das Seil gepackt hatte. Als sei sie ein fühlendes Wesen. Die Haken waren an den gegenüberliegenden Seiten der Plakette nicht gleichmäßig platziert. Stattdessen war es, als seien sie in Reaktion auf die Berührung des Lassos gewachsen.
Die Plakette leuchtete auf, und Schwester Ariel stolperte erschrocken rückwärts.
Es war ein Fehler. Ihr Fuß verfing sich in einer Schlaufe des Seils, und als sie stürzte, riss sie die Plakette durch den Zauber.
Sie rappelte sich hoch, so schnell ihre fetten Glieder es zuließen. Jetzt leuchtete die Plakette nicht mehr. Schwester Ariel hob sie auf.
»Prophezeiung«, stand dort, und die gamitischen Runen verschwammen zu normaler Schrift, als sie die Plakette berührte. »Kein fühlendes Wesen.«
Sie schluckte, nicht sicher, ob sie es glaubte. Die Schrift fuhr fort, vor ihren Augen zu erscheinen, als würde sie von einer unsichtbaren Feder geschrieben. »Wenn dies der siebte Tag ist, blicke zwei Stadien nach Süden.«
Stadien? Vielleicht ließen sich Maßeinheiten nicht übersetzen. Wie weit waren zwei Stadien? Dreihundert Schritt? Vierhundert?
Furcht lähmte Schwester Ariel. Sie war nie der Typ für Abenteuer gewesen. Sie war eine Gelehrte, und zwar eine verdammt gute. Sie war eine der mächtigeren Schwestern, aber es gefiel ihr nicht, sich kopfüber in Dinge zu stürzen, die sie nicht verstand. Sie drehte die Plakette um.
»Zauber in Bäumen«,
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