Am Rande Der Schatten
sie fürchtete, und sie alle waren zu wertvoll, als dass man sie auf ihre Fährte hetzen würde.
Einer davon war Kylar, aber er würde nicht lange überleben. Vielleicht hatte er Roth Ursuul getötet, dreißig Elitesoldaten aus dem Hochland und einige Hexer - Uly schien eine Menge darüber zu wissen -, aber den Gottkönig würde er niemals überleben.
Vi würde nach Seth oder Ladesh gehen oder tief in die Berge von Ceura, wo ihr rotes Haar nicht so ungewöhnlich wäre. Sie würde niemals die Beine für einen weiteren Mann spreizen, und sie würde niemals einen weiteren Auftrag annehmen. Sie wusste nicht, wie ein normales Leben aussah, aber sie würde sich Zeit geben, es herauszufinden.
Sie zog den Brief hervor, den sie aus Kylars Haus mitgenommen hatte, und las ihn noch einmal. »Elene, es tut mir leid. Ich habe es versucht. Ich schwöre, ich habe es versucht. Einige Dinge sind mehr wert als mein Glück. Einige Dinge kann nur ich tun. Verkaufe diese Ringe an Master Bourary und zieh mit der Familie in einen besseren Stadtteil. Ich werde dich immer lieben.«
»He, Uly!«, sagte Vi. »Was war der Grund für Elenes und Kylars Streit?«
»Ich denke, es ging darum, dass das Bett nicht knarrte.«
Vi legte die Stirn in Falten. »Was?« Dann brach sie in Gelächter aus. »Nun, das ist durchaus normal. War das alles?«
»Warum, was bedeutet das?«, fragte Uly.
»Ficken. Männer und Frauen streiten deswegen ständig.«
»Was ist ficken?«, wollte Uly wissen.
Also erklärte Vi es ihr so ausführlich wie möglich, und Uly wirkte immer entsetzter.
»Tut es weh?«, fragte Uly.
»Manchmal.«
»Es klingt widerwärtig!«
»Ist es auch. Es ist schmutzig und klebrig und hat mit Schweiß und Gestank zu tun, und es ist widerwärtig. Manchmal blutet man dabei sogar.«
»Warum lassen Mädchen das mit sich machen?«, hakte Uly nach.
»Weil Männer sie dazu zwingen. Das ist der Grund, weshalb sie deswegen streiten.«
»Kylar würde das nicht tun«, erklärte Uly. »Er würde Elene nicht wehtun.«
»Warum haben sie dann deswegen gestritten?«
Uly sah aus, als sei ihr übel. »Das würde er nicht tun«, wiederholte sie. »Er würde es nicht tun. Ich denke ohnehin nicht, dass sie es je getan haben, weil das Bett nie geknarrt hat, und Tante Mea hat gesagt, das würde es tun. Aber Tante Mea hat gesagt, es mache Spaß.«
Das Bett hatte nie geknarrt? »Wie auch immer. Ist das alles, worüber sie gestritten haben?«, fragte Vi.
»Sie wollte, dass er sein Schwert verkauft, das Schwert, das Durzo ihm geschenkt hat. Er wollte es nicht tun, aber sie sagte, es beweise, dass er immer noch ein Blutjunge sein wolle. Aber das wollte er nicht. Er wollte wirklich mit uns
zusammen sein. Es machte ihn ganz wütend, wenn sie das sagte.«
Also hatte auch er herausgewollt. Das war es, was er in dem Brief meinte, als er schrieb, er habe es versucht.
Nysos! Kylar wusste vielleicht nicht einmal, dass sie Uly mitgenommen hatte. Sie hatte keine Ahnung, ob das etwas Gutes war oder nicht. Es erklärte allerdings, warum er an jenem Morgen im Nebel an ihnen vorübergestürmt war. Er musste sich sicher gewesen sein, dass sie so schnell wie möglich nach Cenaria zurückkehren wollte.
Mehrere hundert Schritt vor ihr sah Vi, wie der Wald sich veränderte. Nein, nicht veränderte. Er nahm schlagartig eine andere Gestalt an. Wo sie ritt, war der Wald so wie der, durch den sie tagelang geritten waren. Und ein Stück weiter wuchsen nur noch riesige Mammutbäume. Sie mussten in der Nähe von Torras Bend sein. Für sie bedeutete es nicht viel, aber es sah aus, als würde das Reiten unter diesen hohen Bäumen leichter werden. In einem so alten Wald gab es kaum Unterholz.
Sie waren nur fünfzig Schritt von den Mammutbäumen entfernt, als eine alte Frau seitlich vor ihnen zwischen den Bäumen hervortrat. Sie wirkte genauso verwirrt, wie Vi sich fühlte. In Händen hielt sie ein leuchtendes Blatt aus Gold.
Leuchtendes Gold konnte nur Magie bedeuten. Die Frau war eine Magierin.
»Halt!«, schrie die Alte.
Vi zuckte im Sattel zurück und riss Uly die Zügel ihres Pferdes aus der Hand. Als sie sich wieder aufrichtete, grub sie dem Pferd die Fersen in die Flanken und schaute zu der Magierin hinüber. Die Frau lief mit unbeholfenen Schritten - und zwar nicht auf Vi und Uly zu. Sie rannte von dem alten
Wald weg, und sie hatte das leuchtende, goldene Blatt beiseitegeworfen.
Was zur Hölle? Es war seltsam, aber nicht so seltsam, dass Vi haltmachte. Auf der ganzen
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