Am Rande Der Schatten
antwortete nicht. Ihr Blick ruhte immer noch auf Fin. Fin hatte während der letzten drei Tage vier der Neuankömmlinge getötet. Drei Tage? Oder waren es jetzt vier?
Graf Drake war Teil des Widerstands. Das war großartig. Logan hatte nicht gewusst, ob der Mann lebend entkommen war.
»Ich bin froh, dass Kylar ihn nicht auch getötet hat«, sagte Logan.
»Wen?«, fragte Natassa.
»Graf Drake. Er hat mich verraten. Er ist der Grund, warum ich hier unten bin.«
»Graf Drake hat Euch verraten?«, fragte Natassa.
»Nein. Kylar. Ganz in Schwarz gekleidet, hat sich der Nachtengel genannt.«
»Kylar Stern ist der Nachtengel?«
»Er hat die ganze Zeit für Khalidor gearbeitet.«
»Nein, das ist nicht wahr. Der Nachtengel ist der einzige Grund, warum es überhaupt einen Widerstand gibt. Ich war dabei. Wir wurden alle in den Garten getrieben, und er hat uns gerettet. Terah hat ihm alles angeboten, was er wollte, damit er uns aus der Burg eskortiert, aber er war nur an Euch interessiert. Er hat uns verlassen, um zu versuchen, Euch zu retten, Logan.«
»Aber er... er hat Prinz Aleine getötet. Er war derjenige, der all das begonnen hat.«
»Lady Jadwin hat Aleine Gunder getötet. Sie hat als Belohnung einen Teil seiner Güter bekommen.«
Es schien unmöglich. Nachdem ihm alles genommen worden war, gab Natassa ihm seinen besten Freund zurück. Er hatte Kylar so sehr vermisst.
Logan lachte. Vielleicht war es das Fieber. Vielleicht hatte er sich vorgestellt, dass sie das sagte, weil er es so unbedingt hören wollte. Er war so krank, dass die ganze Welt wehtat. Alles war verschwommen, so verschwommen. Er fürchtete, dass er anfangen würde zu flennen wie ein kleines Mädchen.
»Und Serah Drake? War sie ebenfalls bei Euch? Sie ist Teil des Widerstands? Kylar hat sie gerettet?«, fragte Logan. Er hatte auch diese Frage schon zuvor gestellt, nicht wahr?
»Sie ist tot.«
»Hat sie … hat sie gelitten?« Diese Frage hatte er zuvor nicht zu stellen gewagt.
Natassa senkte den Blick.
Serah. Seine Verlobte vor nicht allzu langer Zeit. Sie schien Teil eines anderen Lebens zu sein. Einer anderen Welt. Er hatte sie einmal geliebt. Oder geglaubt sie zu lieben. Wie hatte er sie lieben können, wenn sie ihm in all der Zeit, die er hier unten war, kein einziges Mal in den Sinn gekommen war?
Sie hatte ihn verraten. Sie hatte mit seinem Freund geschlafen, Prinz Aleine Gunder, obwohl sie niemals mit ihm geschlafen hatte - dem Mann, den sie zu lieben behauptete. War es das gewesen? Hatte dieser Verrat seine Gefühle für sie ausgelöscht? Oder hatte er sie überhaupt jemals geliebt?
Er hatte gedacht, dass er in seiner Hochzeitsnacht endlich verstanden hatte, was Liebe war.
Jeder, der vernarrt ist, denkt, er verstehe die Liebe. Aber Logan konnte nicht dagegen an. Was er für Jenine Gunder empfunden hatte - das fünfzehnjährige Mädchen, von dem er so sicher gewesen war, dass sie zu jung und zu unreif für ihn sei -, war ihm wie Liebe erschienen. Vielleicht hatte man sie ihm entrissen, bevor er Zeit gehabt hatte, ihre Fehler zu sehen, aber
Jenine Gunder - Jenine Gyre, seine Ehefrau, wenn auch nur für wenige tragische Stunden - war die Frau, die ihn in seinen Gedanken verfolgt hatte. Er hatte von ihr geträumt, kurz bevor der Schlaf dem harten Stein, dem grausamen Gestank, dem Heulen und der Hitze des Lochs Platz gemacht hatte - von ihrem scheuen Lächeln, ihren strahlenden Augen, ihren goldenen Kurven im Kerzenlicht, wie er sie nur ein einziges Mal gesehen hatte, so kurz, bevor die khalidorischen Soldaten in das Zimmer eingebrochen waren, bevor Roth ihr die Kehle durchgeschnitten hatte.
»Oh, Götter«, sagte Logan und schlug die Hände vors Gesicht. Plötzlich stieg die Trauer in ihm auf. Sein Gesicht verzerrte sich, und er konnte den Tränen keinen Einhalt gebieten. Er hatte sie im Arm gehalten, ihr Körper so klein und verletzbar an seinem, während sie geblutet hatte. Götter, wie sie geblutet hatte! Er hatte ihr gesagt, dass alles gut werden würde, er hatte ihr Worte des Friedens gebracht, und das war aller Schutz gewesen, den er ihr hatte geben können, weil er nichts anderes tun konnte.
Jemand legte einen Arm um ihn. Es war Lilly. Götter. Dann umarmte auch Natassa ihn. Das machte es noch schlimmer. Er schluchzte unkontrolliert. Alles war verschwommen und wurde noch verschwommener. Er hatte sich so lange gegen die Trauer gewehrt, aber dazu war er jetzt nicht mehr in der Lage.
Ich werde bald bei dir sein , hatte er zu
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