Am Rande Der Schatten
während derer er kleine Eigenheiten von ihm angenommen hatte, war Kylars Mienenspiel dem von Durzo nicht sonderlich ähnlich. Also blickte das Durzo-Gesicht finster drein, wenn er die Stirn runzelte, feixte, wenn er lächelte, höhnte, wenn er eine Grimasse schnitt, und dazu kamen hundert andere Dinge, die er hinzugefügt hatte, während sie ihm im Laufe langer Stunden durch den Sinn gegangen waren, Stunden, die er darauf verwandte, vor dem Spiegel das Gesicht zu verziehen.
Selbst dann noch war die Tarnung nicht vollständig. Durzo war groß gewesen. Kylar brachte es nur auf eine durchschnittliche
Größe. Nachdem er also seine Tarnung aufgebaut hatte, verzerrte er sie um gute fünfzehn Zentimeter in die Länge. Wenn jemand versuchte, Durzo in die Augen zu blicken, schaute er über Kylars Kopf hinweg. Es erforderte eine Menge Disziplin, um sich daran zu erinnern, auf den Hals einer Person zu schauen, damit Durzo ihnen in die Augen sah. Denn er hatte es noch nicht fertiggebracht, seine Tarnung so zu gestalten, dass er hinsehen konnte, wo er wollte, und Durzos Augen - einen Kopf über seinen - seinem Blick automatisch folgten.
Und natürlich würde die Illusion zerstört werden, sollte irgendjemand versuchen, das Gesicht oder die Schultern zu berühren, die er projizierte. Kylar hatte versucht, die Illusion ätherisch zu machen, sodass etwas, das sie berührte, einfach hindurchglitt. Es hatte nicht funktioniert. Dieses magische Gesicht - oder was immer es war -, war körperlicher Natur. Wenn etwas dickeres als Regen es traf, zerbrach es. Kylar hatte auch die andere Möglichkeit ausprobiert und ihm stärkere Körperlichkeit verliehen, sodass leichte Berührungen auf Widerstand trafen, wie es bei einem echten Gesicht oder echten Schultern der Fall gewesen wäre. Auch das hatte nicht funktioniert.
Alles in allem war es verdammt viel Arbeit für etwas, das sich als eine mittelmäßige Tarnung entpuppte. Jetzt verstand Kylar, warum Durzo Schminke bevorzugt hatte.
Er trieb sein Pferd mit den Fersen an, und sie trabten nach Havermere hinunter.
Die Wachposten schienen nicht überrascht zu sein, ihn aus der Morgendämmerung auftauchen zu sehen, daher war ihre Vorhut vielleicht besser, als er gedacht hatte. »Erklärt, was Ihr hier wollt«, sagte ein kräftig aussehender Junge von nicht einmal zwanzig Jahren.
»Ich bin ein Bewohner Cenarias, aber ich habe während der letzten Jahre in Caernarvon gelebt. Ich habe gehört, dass die Dinge sich größten Teils beruhigt haben. Ich habe Familie in Cenaria, und ich will feststellen, ob es ihr gut geht.« Er sprach schnell, und er hatte wahrscheinlich zu viel erklärt, aber ein nervöser Händler würde wahrscheinlich das Gleiche tun.
»Welches ist Euer Gewerbe?«
»Ich bin Kräuterhändler und Apotheker. Normalerweise würde ich die Gelegenheit nutzen, um einige Kräuter mitzunehmen, aber meine letzte Fracht wurde von Banditen vernichtet. Die Bastarde haben meinen Wagen verbrannt, als sie feststellten, dass kein Gold darin war. Sag mir, wem hat das geholfen? Wie dem auch sei, auf diese Weise komme ich schneller voran.«
»Seid Ihr bewaffnet?«, fragte der junge Mann. Er wirkte jedoch mittlerweile entspannter, und Kylar konnte erkennen, dass er ihm glaubte.
»Natürlich bin ich bewaffnet. Denkst du, ich sei verrückt?«, fragte Kylar zurück.
»In Ordnung. Ihr dürft weiterreiten.«
Kylar begab sich in das Lager, das vor den Toren Havermeres entstanden war. Es war gut organisiert, mit mehreren festen Gebäuden, zahlreichen Zelten und freien Gassen für Fußgänger und Pferde. Aber es wirkte nicht sehr militärisch. Einige der Bauten sahen so aus, als sollten sie über den Winter bestehen bleiben, aber die Befestigungen des Lagers waren lachhaft. Offenbar hatten alle Adligen und ihre persönlichen Wachen auf dem Gutshof der Gyres Quartier bezogen, während die Soldaten und Zivilisten, die ihr Schicksal mit dem der Rebellen verknüpft hatten, hier draußen waren und ihr Bestes taten, um zurechtzukommen.
Kylar betrachtete ein hölzernes Gebäude und versuchte, seinen Zweck zu erraten, als er beinahe einen Mann niederritt, der einen Kneifer trug und auf einen Gehstock gestützt vor ihm her humpelte. Der Mann blickte auf und schien genauso schockiert zu sein wie Kylar.
»Durzo?«, fragte Grafe Drake. »Ich dachte, Ihr wärt tot.«
Kylar erstarrte. Es war so gut, Graf Drake lebend zu sehen, dass seine Kontrolle über die Tarnung beinahe ins Wanken geraten wäre. Der Graf
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