Am Rande Der Schatten
bekommen. Du bist eine schöne Frau, und bei schönen Frauen neigen Männer dazu, nicht mit dem Gehirn zu denken, sondern mit ihrem …« Sie sah Uly an und räusperte sich. »… mit ihrer unvernünftigen Seite. Selbst wenn wir den richtigen Narren bestechen könnten, und glaubt mir, die Chantry würde es tun - man würde nicht das Glück irgendeines Mannes über das Wohlergehen der Chantry stellen -, selbst dann würde es nicht geschehen. Vi ist nicht vertrauenswürdig. Sie ist nicht gehorsam. Noch ist sie intelligent genug …«
»Ihr seid wirklich ein Miststück«, unterbrach Vi sie, aber Schwester Ariel beachtete sie nicht.
»Und außerdem würde sie wahrscheinlich versuchen wegzulaufen, was ihre Nützlichkeit für uns zerstören und all unsere bis dahin angestellten Bemühungen zunichtemachen würde. Also, wie ich schon sagte, vollkommen ungeeignet.«
Vi starrte sie hasserfüllt an. Sie wusste, das ganze Gespräch war nur ein raffinierter Plan, um sie niederzumachen, ihr zu erklären, wie unwürdig sie sei, aber die Bemerkung über ihre Intelligenz hatte sie tiefer verletzt als alles andere. So oft man ihr im Leben Komplimente gemacht hatte - Männer taten das häufig, wenn sie versuchten, einem unter die Röcke zu kommen -, und ob die Komplimente nun grob oder poetisch gewesen waren, sie hatten sich immer um ihren Körper gedreht. Sie war klug, verdammt.
Ariel erwiderte ungerührt ihren Blick. Dann schaute sie tiefer.
»Halt!«, sagte sie.
Vi hielt an. »Was?«
Schwester Ariel trieb ihr Pferd unbeholfen an, bis sie es nach einigen Versuchen dazu gebracht hatte, sich neben das von Vi zu stellen. Sie beugte sich vor und umfasste Vis Gesicht mit beiden Händen.
»Dieser Hurensohn«, sagte Ariel. »Erlaube niemandem, das zu heilen, hast du verstanden? Er ist - Donnerwetter - sieh dir das an. Wenn jemand dies mit Magie berührt, gibt es Gewebe aus Feuer, das rund um alle wichtigen Blutgefäße in deinem Gehirn entfesselt wird. Und es sieht verdächtig danach aus, dass... kannst du dich daran erinnern, irgendwann einmal die Kontrolle über deinen Körper verloren zu haben?«
»Wie meint Ihr das, ob ich mich nassgepinkelt habe?«
»Wenn es geschehen wäre, wüsstest du, was ich meine. Ich werde feststellen müssen, ob Schwester Drissa Nile zurückkommen
wird. Sie ist die Einzige, der ich erlauben würde, dies zu berühren.«
»Wer ist das?«, fragte Uly.
»Sie ist Heilerin. Die beste für winzige Zaubergewebe, die ich kenne. Hat einen kleinen Laden in Cenaria, soweit ich das letzte Mal gehört habe.«
»Ihr werdet mir nichts über dieses Zaubergewebe erzählen, das mich angeblich tötet?«, fragte Vi.
»Nicht solange du mir nicht verrätst, wer dich damit belegt hat.«
»Ihr könnt zur Hölle …«
»Wenn du mich nur noch ein einziges Mal beschimpfst, wirst du es bedauern«, unterbrach Schwester Ariel sie.
Die letzte Strafe war schlimm genug gewesen, und die Befriedigung des Fluchens war so klein, dass Vi ihre Worte hinunterschluckte.
Sie befanden sich bereits in dem Wäldchen, als Vi am Rand des Pfades etwas entdeckte, das teilweise unter Blättern verborgen war, etwas wie dunkles Haar, das im sterbenden Sonnenlicht leuchtete.
Uly folgte ihrem Blick. »Was ist das?«
»Ich denke, es ist ein Leichnam«, sagte Vi. Und dann, als sie den Pfad verließen, um genauer hinzuschauen, jubilierte ihr Herz. Es war in der Tat ein Leichnam - ein Tod, der für sie Leben bedeutete. Er bedeutete Freiheit und einen neuen Anfang. Der Tote war Kylar.
45
Elene hatte am ganzen Körper Schmerzen. Sie war sechs Tage lang so hart geritten, wie sie nur konnte, und sie hatte es immer noch nicht bis nach Torras Bend geschafft. Ihre Knie schmerzten, ihr Rücken schmerzte, ihre Oberschenkel brannten, und sie hatte den Vorsprung von Uly und Ulys Entführerin noch immer nicht wettmachen können. Sie wusste das, weil sie jeden, dem sie auf der Straße begegnete, fragte, ob er eine Frau und ein Kind gesehen habe, die in hohem Tempo nach Norden ritten. Die meisten hatten nichts gesehen, aber jene, die etwas gesehen hatten, erinnerten sich. Wenn überhaupt, war Elene noch weiter zurückgefallen. Und dabei lag jetzt alles an ihr.
Am vergangenen Tag war sie an den Stadtwachen vorbeigekommen, die nach Caernarvon zurückritten. Die Männer hatten ihr versichert, dass eine Frau, erst recht eine Frau, die mit einem Kind belastet war, nicht schneller geritten sein konnte als sie selbst. Sie hatten es aufgegeben und waren nun auf dem
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