Am Rande Der Schatten
Schmerz getrübtem Blick sah Kylar Kommandant Gher mit gezücktem Schwert das Dock hinunterstürmen, dicht gefolgt von zwei Wachen. Herzog Vargun schlitzte Kylar mit seinem Dolch die Kehle auf, und das Blut schoss heraus. Dann rammte Vargun Kylar die Waffe ohne jede Gefühlsregung in die Schulter.
»Haltet ein! Haltet sofort ein oder sterbt!«, brüllte Kommandant Gher.
Herzog Vargun stellte einen Kalbslederstiefel auf Kylars Schulter und lächelte. Dann stieß er Kylar mit dem Fuß vom Pier in den Fluss.
Das Wasser war so kalt, dass es Kylar sofort benommen machte - vielleicht lag das aber auch am Blutverlust. Er atmete ein, bevor er auf dem Wasser aufschlug, aber die Lunge versagte ihm den Dienst. Binnen weniger Augenblicke gurgelte Luft aus seinem Mund und - beunruhigenderweise - aus seiner Kehle.
Dann war da nur noch Qual, als er das schmutzige Wasser des Plith einatmete. Er schlug schwach mit den Armen um sich, aber nur für einen Moment. Dann senkte sich Ruhe über ihn. Sein schmerzender Körper wurde zu einem fernen Puls. Etwas stach in seinen Leib, und er versuchte instinktiv, danach zu greifen. Er sollte danach greifen. Da war etwas, an das er sich erinnern sollte …
Aber ob seine Hand sich überhaupt bewegte, konnte er nicht erkennen. Die Welt wurde nicht schwarz, dämmerte nicht der Dunkelheit entgegen. Alles, was er vor sich sah, war weiß, denn sein Gehirn hungerte, während ihm das Blut
aus dem Hals strömte. Wieder stach etwas in sein Fleisch. Er wünschte, es würde weggehen. Das Wasser war warm, eine perfekte, friedliche Wolke.
Herzog Tenser Vargun riss den Blick von dem hungrigen Fluss los und hob die Hände. Langsam drehte er sich um und sagte: »Ich bin unbewaffnet. Ich ergebe mich.« Er lächelte, als könne er einfach nicht anders. »Und Euch auch einen guten Abend, Kommandant .«
5
Wird dieser Gottkönig mich auspeitschen oder vögeln?
Vi Sovari saß im Empfangssalon vor dem Thronsaal von Burg Cenaria und spitzte die Ohren, um den Gottkönig zu belauschen, während sie mit dem Wachposten spielte, der nicht anders konnte, als sie anzustarren. Alles, was sie darüber in Erfahrung bringen konnte, warum sie hergerufen worden war, könnte ihr das Leben retten. Ihr Meister, Hu Gibbet, hatte soeben Herzog Tenser Vargun hergebracht - einen der khalidorischen Adligen, die ins Land gekommen waren, um zu helfen, Cenaria dem khalidorischen Reich anzupassen. Anscheinend hatte der Herzog irgendeinen cenarischen Edelmann ermordet.
Es musste ein interessantes Problem für den König sein, der sich wie ein Gott gab. Tenser Vargun war ein Vasall, der sein Vertrauen genoss, aber wenn er ihm diese Tat einfach durchgehen ließ, würde das ernsthafte Konsequenzen haben. Die
cenarischen Adligen, die das Knie beugten, um Garoth zu dienen, und denen gestattet worden war, zumindest einen Teil ihres Landes zu behalten, würden vielleicht ihr Rückgrat entdecken und rebellieren. Die cenarischen Adligen, die sich verborgen hielten, würden einen neuen Beweis für khalidorische Brutalität haben, um noch mehr Menschen hinter ihren Bannern zu versammeln.
Aber warum ist Meister Gibbet hier? Hu hatte diese Haltung gewitzter Selbstzufriedenheit eingenommen, die Vi nur allzu gut kannte.
Sie schlug die Beine übereinander, um die Aufmerksamkeit des Wachpostens erneut auf sich zu ziehen. In Begriffen des Kämpfens ausgedrückt, den Begriffen, die Hu Gibbet Vi gelehrt hatte, war es eine Finte. Die Bewegung ihrer Beine erregte seine Aufmerksamkeit, der Umstand, dass sie den Kopf zur Seite drehte, gab ihm Sicherheit, und indem sie sich vorbeugte, eröffnete sie ihm einen Einblick. Sie wagte es nicht, in solcher Nähe zum Gottkönig einen Glanzzauber zu wirken, aber das war in Ordnung. Ein Dekolletee hatte seine eigene Magie.
Sie trug ein maßgeschneidertes, tiefblaues Kleid von solch leichter Beschaffenheit, dass es beinahe durchsichtig war. Sie hatte Meister Piccun ihre Absichten verdeutlicht, damit der Schneider das Kleid schlicht hielt - kaum Stickerei, nur einige wenige Stiche im altkhalidorischen runischen Stil am Saum und an den Handgelenken, eine Inschrift aus einem alten erotischen Gedicht. Keine Spitze, keine Rüschen, nur saubere Linien und Kurven. Meister Piccun war ein unverbesserlicher Wüstling, und dies war das einzige Kleid, das seiner Meinung nach für den Gottkönig taugte. »Der Mann hat Dutzende von Gemahlinnen«, hatte der Schneider erklärt. »Sollen diese
Kühe mit Seide sprechen. Ihr
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