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Am Rande Der Schatten

Titel: Am Rande Der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Weeks
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Spuren mehr von der Schlacht. Der Thronsaal war von Blut, Feuer und Magie gereinigt worden und erstrahlte in makellosem Glanz. Auf jeder Seite trugen sieben Säulen die gewölbte Decke, und dicke, khalidorische Bildteppiche hingen an den Wänden, um die herbstliche Kühle abzuhalten. Der Gottkönig saß auf dem Thron, umringt von Wachen, Vürdmeistern in ihren schwarz-roten Roben, Ratgebern und Dienern.
    Vi hatte damit gerechnet, zum Gottkönig gerufen zu werden, aber sie hatte keine Ahnung, was der Grund dafür war.
Wusste der Gottkönig, dass Kylar der Nachtengel war? Sollte sie dafür bestraft werden, dass sie den Sohn des Gottkönigs hatte sterben lassen? Wollte der Mann mit den Dutzenden von Gemahlinnen ein weiteres hübsches Mädchen vögeln? Oder war er nur neugierig, den einzigen weiblichen Blutjungen der Stadt zu sehen?
    »Du hältst dich für klug, Viridiana Sovari?«, fragte der Gottkönig. Garoth Ursuul war jünger, als sie erwartet hatte, vielleicht fünfzig Jahre alt, und immer noch kraftvoll. Er hatte dicke Arme und einen dicken Leib, er war kahl wie ein Ei, und sein Blick fiel auf sie wie ein Mühlstein.
    »Vergebt mir, Euer Heiligkeit.« Sie hatte es eigentlich als Frage klingen lassen wollen, doch sie änderte ihre Meinung wieder. »Ja. Und ich heiße Vi.«
    Er winkte sie heran, und sie stieg die vierzehn Stufen hinauf, um direkt vor seinen Thron zu treten. Er musterte sie von Kopf bis Fuß, weder verstohlen, wie Männer es so häufig taten, noch heiß und kühn. Garoth Ursuul sah sie an, als sei sie ein Haufen Getreide und als versuche er, ihr Gewicht zu schätzen.
    »Zieh dein Kleid aus«, sagte er.
    Der Klang seiner Stimme gab ihr keinerlei Hinweis, was seine Absichten betraf. Es hätte eine Bemerkung übers Wetter sein können. Wollte er, dass sie ihn verführte? Es kümmerte sie nicht, ob Garoth Ursuul sie besprang, aber sie beabsichtigte, lausig zu sein, falls er es tat. Die Geliebte des Gottkönigs zu werden, war zu gefährlich. Sie hatte seit der Pubertät einem Ungeheuer das Bett gewärmt, und ihr stand nicht der Sinn danach, sich hochzuschlafen. Trotzdem, Gott oder König oder Ungeheuer, Garoth Ursuul war kein Mann, dem man widersprach.

    Also gehorchte Vi sofort. Nach zwei Sekunden glitt Meister Piccuns Kleid zu Boden. Vi hatte keine Untergewänder getragen, und sie hatte sich Parfüm zwischen die Knie getupft. Er konnte ihr deswegen keinen Vorwurf machen, aber gleichzeitig wusste sie, dass plötzliche Nacktheit nicht annähernd so verlockend war wie ein langsames Ablegen von Kleidungsstücken oder der neckische Reiz von Spitzenunterwäsche. Sollte Ursuul sie doch für untauglich halten, sollte er sie für eine Schlampe halten, sollte er denken, was immer er wollte, solange er es aus einer gewissen Entfernung tat. Vi spürte die Blicke eines jeden Höflings, Ratgebers, Vürdmeisters, Dieners und Wachpostens im Raum. Es scherte sie nicht. Ihre Nacktheit war ihre Rüstung. Sie blendete die sabbernden Narren. Sie konnten nichts anderes sehen, solange sie ihren Körper sahen.
    Garoth Ursuul musterte sie abermals von Kopf bis Fuß, und seine Augen verrieten absolut nichts. »Du würdest mir kein Vergnügen bereiten«, sagte der Gottkönig. »Du bist bereits eine Hure.«
    Aus irgendeinem Grund bohrten sich diese Worte von diesem schrecklichen Mann mit Widerhaken in ihr Fleisch. Sie stand nackt vor ihm, und er hatte jedes Interesse verloren. Es war das, was sie gewollt hatte, aber es schmerzte trotzdem.
    »Alle Frauen sind Huren«, erwiderte sie. »Ob sie einem Mann ihren Körper verkaufen oder ihr Lächeln und ihren Charme oder ihre fruchtbaren Jahre und ihre Unterwerfung. Die Welt macht eine Frau zur Hure, aber eine Frau stellt ihre Bedingungen. Euer Heiligkeit.«
    Ihr plötzliches Feuer schien ihn zu erheitern, aber seine Erheiterung verging. »Hast du gedacht, ich würde nicht sehen, was du mit meinem Wachposten gemacht hast? Hast du gedacht, du könntest mich belauschen?«

    »Natürlich habe ich das gedacht«, antwortete Vi, aber jetzt war ihre schnippische Haltung eine Farce. Er hat mich gesehen? Durch die Wand? Sie wusste, dass sie ihre gespielte Tapferkeit beibehalten musste, oder sie würde womöglich im Boden versinken. Wenn man bei dem Gottkönig gewinnen wollte, musste man spielen, als verachte man das Leben. Aber sie hatte von Spielern gehört, die verloren hatten.
    Der Gottkönig kicherte, und seine Höflinge folgten seinem Beispiel. »Natürlich hast du das gedacht«, sagte er.

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