Am Rande Der Schatten
hatte.
Knirscher hielt inne und ächzte. Er trat von dem Seil weg und spreizte die Finger, um den Schmerz darin zu lindern. Logan stellte die Füße mit einem Seufzer wieder auf halbfesten Boden, die Abwässer waren hier nur wenige Zentimeter tief. Er hatte nicht halb so viel Gewicht gehalten wie Knirscher, aber er war trotzdem erschöpft.
Dann sah er das Seil. Es war lose.
»Knirscher«, rief Logan, und seine Kehle war wie zugeschnürt. »Wie lange ist das Seil schon schlaff?«
Knirscher sah ihn blinzelnd an. Die Frage sagte dem einfältigen Mann nichts.
»Knirsch, Fin lebt noch! Er könnte … AH!«
Etwas Scharfes stach Logan in den Rücken, und er stürzte.
Fin fiel mehr auf ihn, als dass er sprang. Der Sträfling bewegte sich, als hätte er sich die Hüfte ausgerenkt, und er blutete am Kopf, am Mund, an beiden Schultern und an einem Bein. In der rechten Hand hielt er die abgebrochene, blutverschmierte Spitze eines Stalagmiten. Als er auf Logan fiel, begann er um sich zu schlagen. Er war verletzt und jämmerlich schwach, aber Logan war noch schwächer.
Fins scharfer Stein bohrte sich Logan in die Brust und schlitzte ihm den Unterarm auf, obwohl er versuchte, sich zu schützen. Dann schnitt Fin ihm von der Stirn bis zum Auge das Gesicht auf. Logan versuchte, Fin von dem Vorsprung zu werfen, aber er war zu schwach.
Ein tierisches Brüllen war zu hören, lauter als das Brüllen einer plötzlichen Eruption des rauchenden Spalts unter ihnen. Heißer Dampf und fette Tropfen kochenden Wassers flogen an ihnen vorbei, einen Moment bevor Knirscher zuschlug.
Er riss Fin von Logan herunter, biss ihm in die Nase und erhob sich einen Moment später mit einem blutigen Brocken zwischen seinen abgefeilten Zähnen. Fin stieß einen gurgelnden Schrei aus. Bevor er abermals schreien konnte, packte Knirscher Fins ausgerenktes Bein und zog ihn von Logan weg.
Der Verwundete schrie abermals, lauter, höher. Er versuchte, sich an irgendetwas festzuhalten, um sich von Knirscher zu befreien. Dann verfing sich Fins Körper zwischen zwei Stalagmiten. Knirscher sah es entweder nicht, oder es kümmerte ihn nicht. Er hatte beschlossen, Fin von Logan wegzuziehen, und das war es, was er tun würde. Logan sah, wie die Muskeln in den Schultern des missgestalteten Mannes sich bewegten, sehnige Knoten voller Kraft. Knirscher stemmte die Füße in den Boden und brüllte, während Fin schrie.
Ein reißendes Geräusch folgte, als das ausgerenkte Bein nachgab. Knirscher stolperte und fiel, während er Fin das Bein abriss und es in den Abgrund hinabsegeln ließ.
Fin richtete einen hasserfüllten Blick auf Logan, während er keuchend seine letzten Atemzüge tat und das Blut aus seiner aufgerissenen Hüfte spritzte. Sein Gesicht war geisterhaft bleich. »Ich sehe dich … in der Hölle, König«, sagte er.
»Ich habe meine Zeit bereits abgesessen«, erwiderte Logan. Er hielt den Schlüssel hoch. »Ich verschwinde hier.«
Fins Augen leuchteten vor Hass und Ungläubigkeit, aber er hatte nicht die Kraft zu sprechen. Langsam wich der Hass aus seinen offenen Augen. Er war tot.
»Knirsch, du bist umwerfend. Danke.«
Knirsch lächelte. Mit seinen abgefeilten, blutigen Zähnen war es ein grauenvoller Anblick, aber er meinte es gut.
Logan zitterte. Er blutete ziemlich stark. Er wusste nicht, ob er es schaffen würde, selbst wenn sie bei der Flucht aus dem Loch und dem Schlund auf keinerlei Probleme stießen. Aber es gab keinen Grund, warum auch Knirsch sterben sollte oder Lilly. Und ohne ihn würde Knirsch das Seil nicht hinaufklettern, das wusste er.
»Also gut, Knirsch, du bist stark. Bist du stark genug, um hier herauszuklettern?«
Knirscher nickte und ließ die Muskeln spielen. Es gefiel ihm, stark genannt zu werden.
»Dann lass uns aus dieser Hölle verschwinden«, fügte Logan hinzu, aber noch während er nach dem Seil griff, spürte er, dass es nach oben auch keinen Widerstand mehr bot. Einen Moment später fiel die ganze Länge des Sehnenseils auf sie herab. Sie würden nicht hinausklettern können. Sie würden den kostbaren Schlüssel nicht benutzen können. Es würde kein Entrinnen geben. Die Locher hatten das Seil fallen lassen.
»Wo zur Hölle sind sie?«, fragte Tenser Ursuul scharf. Die Locher erkannten ihn kaum in seiner feinen Robe, mit rasiertem Gesicht und gewaschenem Haar.
»Was denkst du, wo sie sind? Sie sind geflohen«, sagte Lilly.
»Sie sind geflohen? Unmöglich!«
»Ohne Scheiß«, erwiderte Lilly.
Tenser
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