Am Rande Der Schatten
Unerträgliche ertragen. Aber nachdem sie eine Möglichkeit gesehen hatte, eine Frau zu sein, die sie nicht hasste, gab es kein Zurück mehr für sie.
»Bekommt es endlich in Euren fetten Kopf, Gare«, sagte sie, noch während sie spürte, wie sich magische Fesseln wieder um ihre und Kylars Glieder legten. »Ich werde Euch nicht dienen.«
Garoth lächelte mit göttlicher Huld. »Oh doch, das wirst du.«
»Kylar«, sagte Vi. »Komm zu dir. Du musst mir helfen, diesen verdammten Dreckskerl zu töten.«
Der Gottkönig lachte. »Zwang greift nicht bei jedem, Vi. Die Magie der Niles hätte die meisten Menschen befreit. Vor ungefähr neunzehn Jahren gab es eine ceuranische Schlampe, die ich während einer diplomatischen Reise verführt habe. Als ich herausfand, dass sie schwanger war, habe ich Männer ausgeschickt, um sie zu holen, aber sie ist davongerannt, bevor sie dort ankamen. Als ich herausfand, dass sie ein Mädchen geboren hatte, ließ ich die Angelegenheit auf sich beruhen. Normalerweise lasse ich meine Töchter ertränken - es ist eine gute Übung für meine Jungen, es macht sie hart -, aber es war die Mühe nicht wert. Zwang, Vi, funktioniert nur bei Familienmitgliedern, und manchmal nicht bei Jungen. Du …«
»Ihr seid nicht mein Vater«, zischte Vi. »Ihr seid nur ein kranker Perverser, der gleich sterben wird. Kylar!«
»Gut, Vi, lass uns nicht sentimental werden«, sagte Garoth Ursuul. »Du bist nichts anderes für mich als fünf Minuten Vergnügen und ein Löffel voll Samen. Nun, das ist nicht wahr. Verstehst du, Vi, du wirst ein Blutjunge sein, dem ich vertrauen kann. Du wirst mir niemals den Gehorsam verweigern, mich niemals verraten.«
Vi wurde von einem Entsetzen gepackt, das sie fester umklammert hielt als die Magie, die ihre Gliedmaßen fesselte. Überall um sie herum starben Möglichkeiten.
Kylar bewegte sich. Seine Augen wurden klar. Er sah sie mit hochgezogenen Brauen an und versuchte, charmant zu sein. Die ungeheure Süße dieser Geste durchbrach ihre Lähmung. Seine hellblauen Augen sagten: Stehst du hinter mir?
Ihre Augen antworteten ihm mit einer grimmigen, verzweifelten Freude, die keiner Übersetzung bedurfte.
Leise sagte Kylar: »Du lenkst seine Aufmerksamkeit auf dich, und ich werde sein Leben nehmen.« Er lächelte, und der Rest von Vis Furcht löste sich in nichts auf. Es war ein echtes Lächeln, ohne Verzweiflung. In Kylars Augen stand kein Zweifel. Ein zusätzliches Hindernis - seien es magische Fesseln oder der Verlust eines Arms - würde seinen Sieg nur umso süßer machen. Die Vernichtung des Gottkönigs war Kylars Schicksal.
»Du lässt mir keine Wahl«, sagte Garoth Ursuul. Er schürzte die Lippen. »Tochter, töte Kylar.«
Der Ka’kari wurde aktiv und verschlang die Fesseln, mit denen Vi und Kylar gebunden waren. Vi bewegte sich, um ihre jedes Auge fesselnde Vorstellung zu beginnen.
Dann … stand alles still.
Sie spürte eine Leere in ihrem Willen. Vor ihrem inneren Auge sprang Vi durch die Luft und flog zum Gottkönig hinüber; ihre Klinge senkte sich, sein Gesicht verzerrte sich in einem Krampf der Furcht, als er sah, dass seine Schilde fort waren, als er begriff, dass sie seinen Zwang besiegt hatte …
Aber das war nur ihre Einbildung.
Der Rückstoß eines Aufpralls lief Vis Arm hinauf. Ihr Handgelenk bog sich, als gelte es, einen waagrechten Stoß in ein Herz abzuschließen, aber sie sah nichts, wusste nichts, außer dass um sie Leere war.
Dann füllte sich die Leere, und Vi war wieder bei Verstand. Ihre Finger lösten sich von dem vertrauten Griff ihres Lieblingsmesser. Kylar fiel - so langsam, so quälend langsam. Er fiel vornüber zu Boden, den Kopf im Nacken, weil sie ihm das Messer in den Rücken gerammt hatte. Sein dunkles Haar zitterte noch von dem Stoß. Erst als er auf dem Boden aufschlug, begriff Vi, dass Kylar tot war. Sie hatte ihn getötet.
»Das, meine liebe Tochter«, sagte Garoth Ursuul, »ist Zwang.«
69
Kylar drängte sich eilig durch den Nebel. In einem Augenblick, der nirgends verankert schien, als funktioniere die Zeit hier nicht auf die gleiche Weise, war er wieder in dem undeutlichen Raum, stand wieder vor dem wölfischen, grauhaarigen Mann, dessen Haar an einer Schläfe schneeweiß war.
»Zwei Tage nützen nichts«, sagte Kylar. »Ich muss sofort zurückkehren.«
»Impertinenz das letzte Mal, Forderungen diesmal«, erwiderte der Mann.
Er neigte den Kopf zur Seite, als lausche er, und wieder nahm Kylar andere wahr. Sie waren
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