Am Rande Der Schatten
gegenübertreten. Der Gottkönig hatte sogar versprochen, dass sie Hu töten dürfe, wenn sie das wollte.
Während des Jahres, in dem Vi bei Momma K das Gewerbe erlernt hatte, war Jarl ihr einziger Freund gewesen. Er hatte sich mächtig ins Zeug gelegt, um ihr zu helfen, vor allem in ihren ersten Wochen, als sie eine solche Katastrophe gewesen war. Wegen seiner gut geschnittenen, exotisch-ladishen Gesichtszüge, seiner schnellen Zunge, seiner Intelligenz und seiner Herzlichkeit hatten alle Jarl gemocht, und nicht nur die Männer und Frauen, die Schlange standen, um in den Genuss seiner Dienste zu kommen. (Natürlich nur bildlich gesprochen. Momma K würde niemals etwas so Unfeines wie eine Schlange im Blauen Eber dulden.) Aber Vi hatte immer eine Art besondere Verbindung zwischen ihnen gespürt.
Vi hörte auf zu denken. Sie musste einen Auftrag erledigen. Sie suchte die Tür noch einmal auf Fallen ab. Da waren keine. Hu wurde unvorsichtig, wenn er Gesellschaft hatte. Langsam öffnete sie die Tür, trat zur Seite und hielt die offenen Hände in den Spalt. Manchmal, wenn Hu von Pilzen umnebelt war, griff er zuerst an und stellte keine Fragen. Als kein Angriff kam, trat Vi ein.
Hu saß mit nacktem Oberkörper in der Ecke des vollgestopften vorderen Raums in einem Schaukelstuhl, aber der Stuhl bewegte sich nicht, und Hus Augen waren geschlossen. Allerdings schlief er nicht. Vi war mit allen Sinnen auf jede Nuance ihres Meisters eingestellt; sie wusste, wie er atmete, wenn er wirklich schlief. Er hielt Häkelnadeln in Händen und eine winzige, beinahe fertiggestellte weiße Wollmütze. Ein Babyhäubchen diesmal, der kranke Perverse.
Vi, die so tat, als glaube sie, dass er schlief, schaute sich im Schlafzimmer um. Zwei Frauen lagen im Bett. Vi ignorierte sie und begann, ihre Ausrüstung einzusammeln.
Jarl zu finden, würde kein Problem sein. Sie brauchte nur zu verbreiten, dass sie ihn treffen wolle, und er würde sie willkommen heißen. Seine Wachposten würden sicherstellen, dass sie keine Waffen hatte, aber wenn sie eine Weile mit ihm allein gewesen war, würden sie sich entspannen, oder Jarl würde die Wächter wegschicken, und sie konnte ihn mit bloßen Händen töten. Das Problem bestand darin, wie es ihr gelingen sollte, Jarl nicht zu töten.
Sie würde es nicht tun. Zur Hölle mit dem Gottkönig. Aber es gab nur eine Möglichkeit, wie der Gottkönig ihren Ungehorsam in diesem Fall entschuldigen würde: wenn sie etwas anderes tat, das ihm noch mehr Freude bereitete.
Vi schloss den breiten Schrank auf und zog eine Schublade heraus. Sie enthielt ihre Sammlung von Perücken, das Beste, was mit Geld zu kaufen war. Vi war zur Expertin geworden, wenn es darum ging, sie zu pflegen, sie modisch zu frisieren, sie aufzusetzen und sie von einem Moment auf den anderen so gründlich zu befestigen, dass sie den Härten ihres Gewerbes gewachsen waren. Das Prickeln an ihrer Kopfhaut von einem strammen Pferdeschwanz, den sie manchmal unter ihrer Perücke so festzog, dass er ihr Kopfschmerzen bereitete, hatte etwas Tröstliches. Bei Momma K hatte Vi eine magiebegabte Kurtisane kennengelernt, die ihr angeboten hatte, sie zu lehren, wie sie mit Magie die Farbe oder den Stil ihres eigenes Haares verändern konnte, aber Vi hatte kein Interesse daran. Sie mochte ihren Körper teilen, oder Hu mochte ihren Körper nehmen, aber ihr Haar gehörte ihr allein, und es war ihr kostbar. Es gefiel ihr nicht einmal, wenn Männer die Perücken berührten, aber das konnte sie dulden. Wenn sie hurte, trug sie wegen der geringfügigen Tarnung, die es ihr bescherte, eine Perücke - Frauen mit flammend rotem Haar waren außerhalb von Ceura nicht gerade alltäglich. Wenn sie als Blutjunge arbeitete, trug sie das Haar zu dem gleichen strammen Pferdeschwanz gebunden. Es war vernünftig, kontrolliert und effizient, genau wie sie. Die einzige Gelegenheit, da sie das Haar offen herunterhängen ließ, waren die wenigen Minuten vor dem Schlafengehen, und dann tat sie es auch nur, wenn sie allein und sicher war.
Nachdem sie eine schöne, gerade, kinnlange schwarze Perücke und eine lange, gewellte braune ausgewählt hatte, raffte Vi die Cremes zusammen, die sie zum Färben ihrer Augenbrauen und zum Verdunkeln ihres Teints brauchte, und zum Schluss packte sie ihre Waffen ein.
Sie verschnürte gerade ihre Satteltaschen, als eine Hand ihre Brust packte und bösartig zudrückte. Vi sog scharf die Luft ein, zuckte vor Schmerz und Überraschung zusammen und
Weitere Kostenlose Bücher