Am Rande Der Schatten
waren, der Mohnwein vielleicht nur Wasser. Es wäre nicht das erste Mal, dass er so tat, als sei er berauscht, um ihre Loyalität zu prüfen. Aber Hus Lider waren halb geschlossen, seine Gestalt vollkommen entspannt in seinem Sessel. »Ich liebe dich«, sagte Hu. »Diese Miststücke haben nichts …« Seine Worte verloren sich, und sein Atem nahm den Rhythmus des Schlafs an.
Vi sehnte sich plötzlich nach einem Bad. Sie schnappte sich ihre Satteltaschen und ihr Schwert. Dann hielt sie inne.
Hu war bewusstlos. Sie war dessen gewiss. Sie konnte in weniger als einer Sekunde ihre Klinge ziehen und sie in
sein Herz rammen. Er hatte es hundertfach verdient. Er verdiente hundertmal Schlimmeres. Sie legte die Hand um den Knauf und zog langsam und lautlos die Klinge. Sie drehte sich um und betrachtete ihren Meister, dachte an tausend Demütigungen, die sie durch ihn erlitten hatte. Tausend Entwürdigungen, bis er sie gebrochen hatte. Es war schwer zu atmen.
Vi drehte sich auf dem Absatz um, schob das Schwert in die Scheide und warf sich die Satteltaschen über die Schulter. Sie kam bis zur Tür, dann blieb sie stehen. Sie kehrte zum Schlafzimmer zurück. Die Frauen waren jetzt wach, eine benommen und mit gläsernen Augen, die andere mit vorspringenden Zähnen und vollen Brüsten.
»Hu langweilt sich«, sagte Vi. »Ich gebe euch eine winzige Chance, die Zeit zu überleben, die ihr mit ihm verbringt. Wenn ihr gehen wollt, er schläft jetzt.«
»Du bist nur eifersüchtig«, erwiderte die mit den vorspringenden Zähnen. »Du willst ihn für dich allein haben.«
»Deine Beerdigung«, sagte Vi und ging.
15
»Sind die Sa’kagé im Krieg oder nicht?«, fragte Brant.
Jarl rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Momma K sagte nichts. Sie überließ es ihm, die Führung zu übernehmen, wenn er konnte.
Im sicheren Haus sah es inzwischen aus wie in einem militärischen Leitstand, so viel stand fest. Brant hatte Karten mitgebracht.
Er sammelte Informationen über die Stärke der khalidorischen Truppen, notierte, wo jede Einheit stationiert war und wo Essen und Vorräte verteilt wurden, und er erstellte ein Schaubild der khalidorischen Militärhierarchie mit Verweisen darauf, wo die Sa’kagé Informanten hatten, und einer kurzen Bewertung der Verlässlichkeit und des Informationszugangs dieser Informanten.
»Diese Frage ist schwieriger zu beantworten als …«, begann Jarl.
»Nein«, widersprach Brant. »Ist sie nicht.«
»Ich habe das Gefühl, dass wir uns in einer Art Krieg befinden …«
»Ihr habt das Gefühl? Seid Ihr ein Anführer oder ein Dichter, Weichling?«
»Weichling?«, fragte Jarl scharf. »Was soll das heißen?«
Momma K stand auf. »Setzt Euch«, sagten beide Männer wie aus einem Mund.
Sie sahen einander finster an. Momma K rümpfte die Nase und setzte sich. Einen Moment später sagte Jarl: »Ich warte auf eine Antwort.«
»Habt Ihr einen Schwanz, oder lutscht ihr sie bloß?«, fragte Brant.
»Hofft Ihr darauf, der Glückliche zu sein?«, fragte Jarl zurück.
»Falsche Antwort«, sagte Brant kopfschüttelnd. »Ein guter Anführer ist niemals schnippisch -«
Jarl schlug ihm mit der geballten Faust ins Gesicht. Der General brach zusammen. Jarl baute sich vor ihm auf und zog ein Schwert. »Das ist die Art, wie ich führe, Brant. Wenn meine Feinde mich unterschätzen, schlage ich sie, wenn sie es nicht erwarten. Ich höre Euch an, aber Ihr dient mir. Wenn Ihr
das nächste Mal eine Schwanzbemerkung macht, werde ich Euch Euren in den Mund stopfen.« Sein Gesicht war kühl. Er führte das Schwert zwischen Brants Beine. »Das ist keine müßige Drohung.«
Brant tastete nach seiner Krücke, stand mit Jarls Hilfe auf und klopfte seine neuen Kleider ab. »Nun, wir hatten gerade einen lehrreichen Augenblick. Das bewegt mich tief. Ich denke, ich werde ein Gedicht schreiben. Eure Antwort ist …?«
Die Bemerkung über das Gedicht hätte Jarl beinahe von neuem in Rage gebracht. Er wollte gerade etwas sagen, als er Momma Ks Mundwinkel zucken sah. Es war ein Scherz. Das ist also militärischer Humor. Jarl schüttelte den Kopf. Dies würde eine Herausforderung werden.
Gute Götter, der Mann war eine Bulldogge. »Wir sind im Krieg«, erklärte Jarl, dem das Gefühl nicht gefiel nachzugeben.
»Wie gut habt Ihr die Sa’kagé im Griff?«, wollte Brant wissen. »Denn ich habe hier ernsthafte Probleme. Oder vielmehr, Ihr habt sie.«
»Nicht besonders gut«, antwortete Jarl. »Die Khalidori haben uns zwar aufgerüttelt,
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