Am Rande Der Schatten
Schwachstelle. Und das nächste wurde schlecht getempert.«
Großmeister Haylin drehte sich um und schaute auf Kylars Füße - zwei Schritt abseits des blauen Teppichs -, dann betrachtete er das Schwert. Er warf es in eine leere, rote Kiste. »Werner«, sagte Haylin zu einem jungen Mann, der einen Lehrling beschimpfte. »Das ist das dritte Schwert in diesem Monat, das ich aussortieren muss. Noch ein weiteres, und du bist draußen.«
Werner erbleichte. Sofort hielt er in seiner Beschimpfung des Lehrlings inne.
»Was dieses betrifft«, sagte Großmeister Haylin zu Kylar und deutete auf das schlecht getemperte Schwert. »Ihr wisst, was geschieht, wenn Ihr Diamanten vor die Hühner werft?«
»Streitlustiges Geflügel?«
»Wertvolle Muskelmägen. Es ist Verschwendung, Sohn. Dies ist für eine Armeelieferung bestimmt. Zweihundertfünfzig Königinnen für hundert Schwerter. Irgendein Bauerntölpel von Schwertschwinger darf damit dann etwas mehr Zeit am Wetzstein verbringen als seine Kameraden. Ihr kennt Euch aus mit Schwertern, aber ich bin ein vielbeschäftigter Mann. Was wollt Ihr?«
»Fünf Minuten unter vier Augen. Es wird sich für Euch lohnen.«
Der Großmeister zog eine Augenbraue hoch, erhob jedoch keinen Widerspruch. Er führte Kylar die Treppe hinauf in einen speziellen Raum. Als sie an Lächelgesicht vorbeikamen, sagte der junge Mann: »Ihr könnt nicht … Ihr könnt nicht …«
Großmeister Haylin sah den jungen Mann an und zog eine Augenbraue hoch. Lächelgesichts öliges Lächeln zerrann. »Kümmert Euch nicht darum«, sagte Haylin. »Das ist mein fünfter Sohn. Ein Exemplar zweiter Wahl, hm?«
Kylar wusste nicht, was das bedeuten sollte, aber er nickte dennoch. »Ich würde ihn in die Kiste mit ausgemusterten Schwertern werfen.«
Haylin lachte. »Ich wünschte, ich könnte das Gleiche mit seiner Mutter machen. Meine dritte Frau ist die Antwort auf alle Gebete der beiden ersten.«
Der spezielle Raum wurde offensichtlich so selten wie möglich benutzt. In der Mitte stand ein schöner Walnusstisch mit mehreren Stühlen, aber den meisten Platz nahmen Vitrinen ein. Prächtige Schwerter und teure Rüstungen füllten den Raum wie eine Elitewache. Kylar betrachtete sie eingehend. Mehrere der Stücke waren Arbeiten des Großmeisters: Meisterwerke, um zu demonstrieren, wozu er fähig war, aber andere waren alt und ließen sich verschiedenen Stilen und Epochen zuordnen. Perfekt.
»Jetzt habt Ihr nur noch drei Minuten«, bemerkte Haylin und blinzelte Kylar an.
»Ich bin ein Mann von besonderen Talenten«, erklärte Kylar und nahm dem Mann gegenüber Platz.
Der Großmeister zog abermals eine Augenbraue hoch. Er hatte schrecklich ausdrucksstarke Augenbrauen.
Kylar fuhr sich mit den Fingern durch sein rotes Haar und ließ es schmutzig-blond werden. Er strich sich mit der Hand übers Gesicht, und seine Nase wurde schärfer, länger. Dann rieb er sich das Gesicht, als wasche er es, und der Bart verschwand, sodass leicht pockennarbige Wangen und scharfe Augen sichtbar wurden. Natürlich war das alles nur Schau. Er brauchte sein Gesicht nicht zu berühren - aber dieser Mann schien etwas für Demonstrationen übrigzuhaben.
Großmeister Haylins Gesicht wurde totenbleich, und der Unterkiefer klappte ihm herunter. Er blinzelte hektisch, und
seine Stimme klang wie das Krächzen eines Vogels. Er räusperte sich. »Master Sternenfeuer? Gaelan Sternenfeuer?«
»Ihr kennt mich?«, fragte Kylar verblüfft. Gaelan Sternenfeuer war der Held aus einem Dutzend Bardengeschichten. Aber das Gesicht, das Kylar trug, war das von Durzo Blint.
»Ich war … Ich war noch ein Junge, als Ihr zur Werkstatt meines Großvaters gekommen seid. Ihr sagtet … Ihr sagtet, Ihr würdet vielleicht zurückkommen, lange nachdem wir die Hoffnung aufgegeben hätten, Euch wiederzusehen. Oh, Herr! Mein Großvater sagte, es werde vielleicht in der Zeit meines Vaters oder in meiner geschehen, aber wir haben ihm nie geglaubt.«
Verwirrt versuchte Kylar nachzudenken. Durzo war Gaelan Sternenfeuer? Kylar wusste natürlich, dass Durzo nicht siebenhundert Jahre lang unter demselben Namen bekannt gewesen war. Aber Gaelan Sternenfeuer ? Dieser Name war unter all den anderen, die Aristarchos für seinen Meister benutzt hatte, nicht einmal erwähnt worden.
Ein Stich der Trauer durchzuckte Kylar. Er hatte es nicht gewusst, doch irgendein Schmied in Caernarvon wusste es. Wie wenig er den Mann kannte, der ihn großgezogen hatte, den Mann, der für ihn
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