Am Rande Der Schatten
Jarls Augen nichts mehr.
»Darf ich sie Kylar zeigen?«, fragte Uly. Sie hielt genau die Puppe im Arm, die Kylar vor einigen Tagen ausgesucht hatte. Elene lächelte; Kylar wusste gar nicht, wie gut er sich als Vater machte.
»Ja«, antwortete Elene, »aber du läufst direkt nach Hause. Versprochen?«
»Versprochen«, sagte Uly und lief los.
Elene sah ihr ängstlich nach, aber kleine Dinge machten ihr immer Angst. Caernarvon war nicht wie das Labyrinth. Außerdem war das Haus nur zwei Häuserblocks entfernt.
»Wir müssen reden, nicht wahr?«, sagte Tante Mea.
Es wurde langsam spät. Die Sonnenstrahlen fielen schräg auf die Kaufleute, die ihre Waren zusammenpackten und sich auf den Heimweg machten. Elene schluckte. »Ich habe es Kylar versprochen. Wir sind übereingekommen, es niemals jemandem zu erzählen, aber …«
»Dann sag kein Wort mehr.« Tante Mea lächelte und hakte Elene unter, um sie zurück zum Haus zu führen.
»Ich kann nicht«, sagte Elene und blieb stehen. »Ich kann so nicht weitermachen.«
Also erzählte sie Tante Mea alles, angefangen von der Lüge ihrer Ehe über ihre Streitigkeiten zum Thema Sex bis hin zu der Tatsache, dass Kylar ein Blutjunge war und versuchte, es hinter sich zu lassen. Tante Mea wirkte nicht einmal überrascht.
»Elene«, sagte sie und ergriff ihre Hände. »Liebst du Kylar, oder bist du mit ihm zusammen, weil Uly eine Mutter braucht?«
Elene hielt inne, um sich im Angesicht der Frage um Demut zu bemühen, um sicherzustellen, dass das, was sie sagen würde, der Wahrheit entsprach. »Ich liebe ihn«, sagte sie. »Uly ist ein Teil davon, aber ich liebe ihn wirklich.«
»Warum schützt du dich dann?«
Elene sah auf. »Ich schütze mich nicht …«
»Du kannst nicht ehrlich zu mir sein, solange du nicht ehrlich zu dir selbst bist.«
Elene blickte auf ihre Hände. Ein Bauernkarren, beladen mit den nicht verkauften Waren des Tages, ratterte an ihnen vorbei. Das Licht schwand, und es wurde langsam dunkel auf der Straße. »Wir müssen zurück«, sagte Elene. »Das Abendessen wird sicher schon kalt.«
»Kind.« Tante Meas Stimme ließ Elene innehalten.
»Er ist ein Mörder«, sagte Elene. »Ich meine, er hat Menschen getötet.«
»Nun, das stimmt schon. Er ist ein Mörder.«
»Nein, er ist ein guter Mann. Er kann sich ändern. Ich weiß es.«
»Kind, weißt du, warum du mit mir sprichst, obwohl du Kylar versprochen hast, es nicht zu tun? Weil du dich mit etwas einverstanden erklärt hast, das deiner Natur widerspricht. Du bist eine schrecklich schlechte Lügnerin, aber du hast es versucht, weil du es versprochen hast. Ist es nicht das, was er getan hat?«
»Wie meinst du das?«, fragte Elene.
»Wenn du Kylar nicht als den Mann lieben kannst, der er ist - wenn du ihn nur als den Mann liebst, der er deiner Meinung nach sein könnte -, wirst du ihn zum Krüppel machen.«
Kylar war so unglücklich gewesen. Als er angefangen hatte, des Nachts auszugehen, hatte sie keine Fragen gestellt, hatte nicht wissen wollen, was er tat. »Was soll ich tun?«, fragte sie.
»Denkst du, du seist die erste Frau, die Angst hat zu lieben?«, fragte Tante Mea.
Die Worte schnitten ihr ins Herz. Sie warfen ein anderes Licht auf ihr nächtliches Schmusen und Streiten. Sie hatte gedacht, ungeheuer fromm zu sein, indem sie nicht mit Kylar schlief, aber sie hatte einfach furchtbare Angst. Sie hatte schon jetzt das Gefühl, jedwede Kontrolle verloren zu haben, das Gefühl, dass eine Kapitulation im Schlafzimmer ihr jede Macht rauben würde. »Kann ich ihn lieben, wenn ich ihn nicht verstehen kann? Kann ich ihn lieben, wenn ich hasse, was er tut?«
»Kind«, sagte Tante Mea. Sie legte Elene sanft eine kräftige Hand auf die Schulter. »Die Liebe ist ein Akt des Vertrauens, ebenso wie der Glaube an den Gott es ist.«
»Er ist nicht gläubig. Ein Ochse und ein Wolf können nicht zusammen ins Joch gespannt werden«, wandte Elene ein, wohl wissend, dass sie nach Strohhalmen griff.
»Du denkst, ein Joch beziehe sich nur auf Eheringe oder Sex? Du brauchst ihn nicht zu verstehen, Elene, du brauchst ihn nur zu lieben.« Tante Mea griff nach Elenes Arm. »Komm, lass uns zu Abend essen.«
Gemeinsam gingen sie zum Haus zurück. Elene fühlte sich unbeschwerter als seit Monaten - selbst wenn sie ein großes Gespräch mit Kylar vor sich hatte. Sie war von einer neuen Hoffnung erfüllt.
Elene riss die Tür auf, aber das Haus war still, leer. »Kylar?«, fragte sie. »Uly?«
Keine
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