Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
»Außerdem denke ich, dass du mir eine Abfindung zahlen solltest. Wenn du willst, dass ich den Mund halte und verschwinde.«
Er sank stinksauer auf seinem Stuhl zusammen. »Du kannst überhaupt nichts beweisen … Ach, was soll’s. Also gut.«
»Tschüss dann.« Sie verließ auf dem schnellsten Wege das Büro, um niemandem zu begegnen, den sie früher einmal zu ihren Freunden gezählt hatte. Das waren nicht mehr ihre Freunde. Womöglich waren sie es nie gewesen.
Als Simon erst mal mit an Bord war, war es gleich viel einfacher, Sarah und ihren Redakteur zu bewegen, einen Artikel über sie zu bringen.
»Hoffentlich stimmt das alles auch«, sagte ihre Halbschwester auf der Taxifahrt zum Fotoshooting. »Wenn er jetzt doch verurteilt wird, bin ich stinksauer. Dann kann ich meinen guten Ruf nämlich in die Tonne treten.«
»Er wird nicht verurteilt.« Charlotte erwähnte nicht, dass sie ebenfalls mehr als nur stinksauer wäre, wenn Dan zu einer Gefängnisstrafe verurteilt würde – von ihm selbst ganz zu schweigen.
Sarah sprach kurz durch die Trennscheibe mit dem Fahrer. Dann wandte sie sich wieder Charlotte zu. »Warst du einverstanden mit dem Text, den ich dir geschickt habe? Ich musste sehr vorsichtig sein, um nichts über die Einzelheiten des Falls zu verraten.«
Der Artikel war sehr sentimental und drehte sich vor allem um Charlottes Kummer darüber, dass sie ihren Liebsten entbehren musste, aber Sarah arbeitete nun mal bei einer Zeitung, die Sentimentalität weit mehr schätzte als juristischen Sachverstand. »Musst du die Polizei wirklich so unfähig aussehen lassen? Ich finde das irgendwie nicht fair.«
Sarah verdrehte die Augen. »Du hast doch selbst mal bei einer PR-Agentur gearbeitet. So ein Text muss einen bestimmten Standpunkt zum Ausdruck bringen. Und dass die Polizei unfähig ist, ist das, was unsere Leser hören wollen.«
»Aber ich glaube, die haben wirklich ihr Bestes getan. Ich meine: Die Beweislage sah ja tatsächlich ungünstig aus. Könntest du nicht einfach dabei bleiben, wie fies die Banken sind, dass sie ihre Mitarbeiter in so einen Stress hineintreiben?«
Sarah seufzte nur. »Gott, bist du naiv. Wir steigen hier aus.«
Die nächste Stunde verbrachte Charlotte damit, auf dem schmutzigen Bürgersteig vor der Mauer der Haftanstalt Pentonville herumzustehen. Sarah hatte sie angewiesen, sich richtig in Schale zu werfen, damit die Leser sahen, dass sie die Geborgenheit der Mittelschicht gewöhnt war. Es war ein trockener, windiger Tag in London, und Staub und Pollen wehten ihr in die Augen, bis sie tränten.
»Das ist gut!« Sarah redete auf den Fotografen ein. »Hast du das? Das sah aus, als ob sie weint.«
»Ja, ich hab’s.« Der Fotograf war ein geduldiger, sarkastischer alter Kauz aus dem East End, der sein Geld meist damit verdiente, C-Promis zu knipsen, die betrunken aus irgendwelchen Nachtclubs torkelten. Er schenkte Charlotte hinter Sarahs Rücken ein so sardonisches Lächeln, dass sie kichern musste und anschließend Schwierigkeiten hatte, wieder einen angemessen traurigen Gesichtsausdruck aufzusetzen. Sie zwang sich, an Dan zu denken, hinter diesen Mauern, einsam und krank, erst dann war Sarah mit ihrer todunglücklichen Miene wieder zufrieden.
»Das ist das Beste«, sagte Gary, der Fotograf, als sie schließlich fertig waren, und zeigte ihnen auf seinem Kamera-Display ein Bild. Charlotte stand neben einer überquellenden Mülltonne, und ein Windstoß zerzauste ihr Haar und wehte ihren Burberry-Trenchcoat auf. Aus feuchten, traurigen Augen sah sie zum Gefängnis hinüber. In einer Hand – an der ein falscher Verlobungsring prangte – hielt sie ein Foto, das Dan und sie während eines Türkeiurlaubs zeigte, braun gebrannt und lächelnd, mit farbenfrohen Cocktails vor sich.
»Großartig«, sagte Gary in sachlichem Ton und packte dann mit seinen tätowierten Armen seine Ausrüstung ein. »Das solltet ihr verwenden.«
»Das entscheide immer noch ich«, sagte Sarah. »Aber es ist tatsächlich gut.«
»Der Bildredakteur entscheidet das«, entgegnete Gary, aber Sarah hörte ihm schon gar nicht mehr zu. »Wenn er freigesprochen wird, kriege ich vielleicht einen Preis dafür«, sagte sie und funkelte Charlotte an, als wäre sie persönlich verantwortlich für den Ausgang des Verfahrens. »Ich muss los. Ciao!« Sie winkte ein Taxi herbei, schon wieder das Telefon am Ohr.
»Na, hoffentlich weiß er das alles zu schätzen«, sagte Gary, der seine Ausrüstung in den Wagen lud. »So
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