Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
jetzt öffentlich zugänglich, wir können also beweisen, wie gestresst er war, und es wird sicherlich Experten geben, die zu dem Schluss kommen, dass sein Wutausbruch durch seine Arbeitsbelastung ausgelöst wurde. Deine Anwältin wird die Sache ja vermutlich auch von der Seite aus angehen.«
Sie biss sich auf die Lippe. Hielt Jamie Dan auch für schuldig? Wie alle? Außer ihr? »Das weiß ich nicht.«
Ihr Bruder machte sich Notizen. »Ich denke mal, die Chancen stehen ganz gut, dass sich Haussmann’s auf eine Einigung einlassen würde. Sie stehen ja momentan mächtig in der Kritik. Außerdem hat es da bereits einen Präzedenzfall gegeben, bei dem jemand aus Gründen, die was mit Stress zu tun hatten, eine Abfindung bekommen hat.«
»Aber was ist, wenn …« Sie konnte es nicht aussprechen.
»Manchmal wird auch dann eine Abfindung gezahlt, wenn der Kläger wegen eines Verbrechens verurteilt wurde.«
Das klang zu schön, um wahr zu sein. »Meinst du, wir sollten es tun?«
Er klopfte mit dem Stift auf seine Unterlage. »Ist er denn mit an Bord?«
»Das wird er sein.« Wenn sie es aussprach, würde es ja vielleicht wahr.
»Ich habe gehört, er will sich schuldig bekennen.«
»Nein, das stimmt nicht. Er arbeitet jetzt mit Kylie zusammen.«
»Ach ja, Kylie.«
Charlotte reagierte gereizt. »Sie ist sehr gut. Dad hat sie empfohlen.«
»Ich habe schon von deinem kleinen Asienurlaub gehört. War’s schön?«
War er etwa eifersüchtig? »Ehrlich gesagt wünschte ich, ich wäre schon viel früher mal hingeflogen. Die beiden sind glücklich. Ihr solltet sie auch mal irgendwann besuchen. Dad würde bestimmt gern das neue Baby sehen.«
Jamies Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig. »Amy hat das alles übrigens sehr zugesetzt.«
»Was alles?«
»Zu wissen, dass ein Mörder an ihrem Tisch gesessen und ihren Sonntagsbraten gegessen hat. Zum Beispiel.«
»Tatsächlich? Es hat mir auch ein bisschen zugesetzt, als meine Hochzeit abgesagt wurde. Aber ich hoffe, du hast die Anzahlung für die Hotelzimmer wiedergekriegt.« Sie stand auf. »Weißt du, du hast seinen Namen bisher kein einziges Mal ausgesprochen. Du erinnerst dich doch noch an Dan, oder? Er war es, der deine Tochter ins Krankenhaus gefahren hat, als sie von ihrem bescheuerten Trampolin gefallen war. Aber ich schätze mal, das hast du inzwischen alles vergessen.«
»Warte.« Er spreizte die Hände auf der Tischplatte. »Das war für uns alle nicht einfach. Ich habe in der City viele Bekannte, und die wissen alle, dass er mein angehender Schwager war. Und Mum kann sich in ihrem Dorf kaum noch irgendwo blicken lassen. Aber für dich war es natürlich am schwersten.«
»Nein, für Dan. Der sitzt nämlich im Knast.«
Jamie zog ein Gesicht, als wollte er sagen, Dan habe es auch nicht besser verdient.
»Schau mal.« Sie fühlte sich sehr müde. »Ich brauche nicht noch mehr Streit. Und es ist mir eigentlich auch egal, ob du ihn für schuldig hältst oder nicht. Ich glaube jedenfalls nicht, dass er es war, und ich muss ihm beistehen, so gut ich kann. Entweder du hilfst mir dabei, oder ich gehe jetzt wieder, und dann sehen wir uns ganz normal an Weihnachten oder wann auch immer.«
Jamie wirkte tief betrübt. Vielleicht erinnerte er sich auch gerade an die Zeit vor Phil und der Scheidung und dem Internat. »Ich helfe dir gern, wenn ich kann, aber du musst wirklich dafür sorgen, dass Dan mit der Sache einverstanden ist. Außerdem brauche ich eine vollständige eidesstattliche Aussage darüber, was ihm da alles widerfahren ist. Werde ich ihn besuchen können?«
Charlotte sagte: »Wahrscheinlich schon. Außer mir ist ihm offenbar jeder willkommen.«
Keisha
In der Woche vor dem Prozess ging es drunter und drüber. Dans Eltern reisten an, piekfeine Leute mit Stock im Arsch. Keisha machte einen großen Bogen um sie. Dann erschien der Artikel über Charlotte, auf Seite fünf der Zeitung ihrer Halbschwester, voll in Farbe und neben einem über Cheryl Cole. Auf dem Bild sah Charlotte aus, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen, ganz allein in der Kälte, mit einem Foto von ihrem Freund, draußen vor den Mauern des Gefängnisses. Der Artikel begann mit den Worten: Charlotte Miller hätte jetzt eigentlich verheiratet sein sollen. Stattdessen wartet sie vor den Gefängnismauern. Ihr Verlobter Daniel Stockbridge, 31, war Börsenmakler bei der Haussmann’s Bank, die wegen Gerüchten über zwielichtige Geschäftspraktiken und Insiderhandel massiv in der
Weitere Kostenlose Bücher