Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
Kritik steht. Im Mai wurde Daniel festgenommen, nach dem Mord an einem Nachtclubbesitzer …
Keisha las es nicht zu Ende. Da kam noch jede Menge Quark von wegen, Charlotte wäre doch so »hübsch und zerbrechlich« und hätte ihren Verlobungsring verkaufen müssen, bla, bla, bla. Dann ging es um den ganzen Stress, dem die Leute in der City angeblich ausgesetzt wären; die armen Schätzchen, kriegten Millionen dafür, dass sie ein bisschen an Computern rummachten; und um die »Kultur des Schikanierens und der Elite-Seilschaften«. Ein gewisser Gary hatte Charlotte einen großen Fotoabzug geschickt. Es war das gleiche Bild wie in der Zeitung, bloß dass sie auf diesem über irgendwas lachte. Es war hübsch – sie sah richtig glücklich aus.
»Schau mal«, sagte Charlotte, die in den Zeitungen blätterte. »Dan ist in der Private Eye .« Wie sie das sagte, musste das was ganz Dolles sein. »Dan kann die Private Eye nicht ausstehen. Erinnert ihn an seine alte Schülerzeitung, hat er mal gesagt.« Charlotte lachte. »Er wird stinksauer sein, wenn er das sieht.«
Keisha verstand nicht, was daran so lustig sein sollte.
Nachdem der Artikel erschienen war, ging alles ganz schnell. Andere Journalisten riefen an – Keisha lernte, das zu erkennen, denn es waren immer erst mal Frauen dran, und sie meldeten sich scheißfreundlich. »Hallihallo! Spreche ich mit Charlotte?«
Charlotte nahm die Anrufe entgegen und stellte schnell ein paar Fragen: Welche Seite? Wie viele Wörter? Mit Bild oder ohne? Welcher Standpunkt? Und weil Charlotte so ziemlich jede Zeitung kaufte, die es gab, fiel Keisha auf, dass neuerdings wieder viel über Banker berichtet wurde, diesmal aber ein bisschen anders. Anscheinend waren sich jetzt plötzlich alle einig von wegen: »Hey, vielleicht waren das ja doch nicht alles nur Scheißkerle!«
Auch Charlottes Freundinnen und Freunde riefen an – die ihr auf der Party damals die kalte Schulter gezeigt und ihre E-Mails nicht beantwortet hatten. Wenn Keisha bei so einem Anruf ans Telefon ging – wenn eine Gemma oder Holly oder so dran war, die »nur mal hallo sagen« wollte und meinte: »Ich hab das in der Zeitung gesehen« –, sagte sie Charlotte mit Lippensprache, wer dran war, und die schüttelte fast jedes Mal nur den Kopf. »Sag, ich bin nicht da. Die hat mir nicht geholfen, als ich sie gebraucht hätte.« Damit nicht genug kriegte Charlotte auch noch jede Menge Kaufangebote für die Wohnung. Sie hatte sie billig inseriert, damit sie sie auch bei dieser miesen Marktlage auf jeden Fall loswürde, hatte sie Keisha erklärt, als ob sie tatsächlich wüsste, worüber sie da redete.
Keisha war durchaus beeindruckt von der neuen Charlotte. Sie hatte kaum einmal geweint, seit sie aus Singapur zurück war, und zwischen den ganzen Zeitungen und juristischen Unterlagen hatte Keisha auch noch andere Sachen entdeckt: Ausdrucke über irgendwelche Studiengänge, Kursbroschüren, solche Dinge. Sie hatte sich wirklich verändert.
Aber Charlotte war nicht die Einzige, in deren Leben es vorwärtsging. Ein paar Tage vor dem Prozess ging Keisha mal wieder zur London University. Ian Stone sollte da an einer Podiumsdiskussion teilnehmen, und zwar zu seinem Lieblingsthema: »Erosion der Bürgerrechte«. Keisha dachte, das hätte was damit zu tun, dass die Leute auf der Straße angehalten werden durften, um zu sehen, ob sie ein Messer dabeihatten oder so. Sie war ebenfalls dagegen – sie wollte nicht von irgendwelchen Bullen überprüft werden, wenn sie einfach nur ihrer Wege ging.
Sie kam extra nicht zu früh und landete schließlich ganz hinten in dem rappelvollen Saal, eingezwängt zwischen lauter übereifrigen Studis, die sich Notizen machten und jedes Mal wie irre nickten, wenn Ian Stone von dem »Aufbau eines Überwachungsstaats« oder der »Zerstörung jahrhundertealter Freiheiten« redete. Neben ihm saßen auf dem Podium: ein rotgesichtiger, spießiger Unterhaus-Abgeordneter und eine Schwarze, die sie offenbar nur aufgeboten hatten, damit sie Sachen sagte wie: »Ich als ethnische Frau …« Was für ein Schwachsinn.
Keisha versuchte, dem Ganzen zu folgen. Es war ein seltsames Erlebnis, in einem vollen Saal zu sein, wo alle den Leuten auf dem Podium geradezu an den Lippen hingen und je nachdem, was die sagten, begeistert nickten oder wütend den Kopf schüttelten. Die interessierten sich wirklich dafür! Zu ihrem Entsetzen hörte sie mittendrin einen Namen, den sie nur allzu gut kannte.
Ian Stone sagte: »Wenn
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