Am Rande des Abgrunds: Thriller (German Edition)
Charlotte schluckte; es war wie früher, wenn sie im Schulunterricht bei irgendwas erwischt worden war. »Es wird aufgerufen: Miss Charlotte Miller.«
Das war sie. Sie stand auf und spürte, wie ihre Schenkel vor Angstschweiß an der Sitzfläche klebten. Auf klappernden Absätzen ging sie nach vorn. Sie nahm im Zeugenstand Platz, leistete einen Eid auf die Bibel, bestätigte ihren Namen und ihre Adresse. Es war wie ein Auftritt auf einer Bühne, vor ihr ein Meer von Gesichtern. Ihre Hände waren ganz klamm.
Adam Hunt wartete bereits darauf, sie zu befragen. »Woher kennen Sie Mr Stockbridge?«
Sie räusperte sich. »Ich war seine Verlobte. Äh, ich bin seine Verlobte, wollte ich sagen.«
»Sie sind es noch?«
Sie ließ den Blick kurz über die Zuschauer schweifen; da waren Dans Eltern und Sarah, aber kein Matthew Hegarty. »Ja«, sagte sie und befeuchtete sich die Lippen. Sie sah Dan nicht an, hörte ihn aber am anderen Ende des holzgetäfelten Saals seufzen.
»Könnten Sie bitte erzählen, was in der fraglichen Nacht geschehen ist?«
»Dan und ich sind ausgegangen, in einen Club in Camden. Es war ein jamaikanisches Lokal … Wir wollten eigentlich in unseren Flitterwochen nach Jamaika.« Sie schilderte, wie sie an diesem Abend nach Hause gekommen war, dass Dan bereits dort gewesen sei, was er zu ihr gesagt hatte, ihre Entscheidung auszugehen. Während sie sprach, hob Dan kein einziges Mal den Blick.
»Dann gingen Sie also mit Ihrem Verlobten in den Nachtclub Kingston Town. Richtig?«
Sie nickte. Dann fiel ihr wieder ein, dass sie laut sprechen musste, und sie sagte: »Ja.«
»Wie würden Sie sein Verhalten beschreiben?«
Sie sah zu ihm hinüber. Dan hatte immer noch den Kopf gesenkt. »Er war zunächst ziemlich aufgebracht. Aber das hat sich bald gelegt.«
»Hat sonst noch etwas Ihr Verhalten in dieser Nacht beeinflusst?«
Sie zuckte zusammen. »Wir … Dan hatte etwas Kokain mit nach Hause gebracht.«
»Sie haben eine illegale Droge konsumiert. Trifft das zu?«
»Nun, ja, aber …« Sie sah zu Kylie hinüber, die sie angewiesen hatte: Beantworte einfach nur die Fragen . »Ja.«
»Nehmen Sie regelmäßig Drogen, Miss Miller?«
»Nein.« Nicht defensiv klingen, hatte Kylie gesagt, aber das war gar nicht so einfach.
»Schildern Sie dem Gericht bitte, was mit Mr Johnson geschehen ist. Haben Sie da irgendetwas Ungewöhnliches mitbekommen?«
»Nun …« Sie zögerte. »Nein, eigentlich nicht. Ich bin auf die Toilette gegangen, und als ich wiederkam, sah ich, dass Dan mit ihm sprach. Dann sind die beiden hinausgegangen, in sein Büro, nehme ich an.«
»Was haben Sie dann getan?«
»Ich habe unsere Jacken aus der Garderobe geholt und bin nach draußen gegangen, um zu warten. Dann kam Dan, und wir sind nach Hause gefahren. Er wirkte ganz normal. Ich habe nichts Ungewöhnliches bemerkt.«
»Wie lange war er fort gewesen?«
»Nicht lange. Nur ein paar Minuten.«
Adam Hunt sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Sind Sie sich da sicher? Dem Gericht liegen Taxi-Daten und Aufnahmen einer Überwachungskamera vor, die darauf hindeuten, dass es über zehn Minuten waren, Miss Miller.«
»Ich weiß es nicht.«
»Miss Miller, können Sie uns etwas über Ihre Heimfahrt erzählen?«
Sie antwortete nicht.
»Miss Miller?«
»Nein. Ich … Ich erinnere mich nicht mehr daran.«
»In Ihrer ersten Aussage sagten Sie, ich zitiere: ›Es ist alles ein wenig verschwommen. Ich war keine Drogen gewohnt.‹ Trifft das zu?«
Sie errötete. Das war wirklich peinlich: wenn das eigene betrunkene Gebrabbel in die Öffentlichkeit gezerrt wurde. »Ja. Aber an alles andere erinnere ich mich. An die ganze übrige Nacht. Ich weiß noch genau, dass Dan ganz normal wirkte.«
»Hm. Also gut, Miss Miller, das wär’s fürs Erste.«
Der Richter hob den Blick. »Miss McCausland, Ihre Zeugin.«
Kylie erhob sich, was aber, da sie nur knapp über eins fünfzig maß, keinen allzu großen Höhenunterschied mit sich brachte. »Miss Miller.« Sie zwinkerte Charlotte fast unmerklich zu, und die musste sich ein nervöses Auflachen verkneifen. »Zu der Zeit, als Mr Johnson verstarb, standen Sie kurz davor, Mr Stockbridge zu heiraten, nicht wahr?«
»Ja. Die Hochzeit sollte in der Woche darauf stattfinden.«
»Und sie wurde aufgrund der Festnahme abgesagt?«
»Verschoben.« Sie reckte das Kinn vor und gab sich Mühe, selbst daran zu glauben.
»Miss Miller, Sie haben sich in letzter Zeit in einigen Zeitungen über diesen Fall
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